Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1930


Die Bedeutung der Lage des Kreises
Herzogtum Lauenburg in tiergeographischer Hinsicht,
erläutert durch die Besprechung seiner Schmetterlingsfauna.

Von G. WARNECKE, Kiel.

I.

Mehrfach ist in diesen Blättern schon auf die bedeutsame, von den benachbarten Gebieten Mecklenburgs und Schleswig-Holsteins abweichenden FLORISTISCHEN Verhältnisse Lauenburgs hingewiesen worden.

Gleich bedeutsam und interessant ist die FAUNA, insbesondere die niedere Tierwelt Lauenburgs. (Es ist nicht überflüssig, hierauf ausführlicher hinzuweisen, denn die floristischen Verhältnisse decken sich in den Einzelheiten nicht mit den faunistischen, wenn sie auch in den Grundzügen übereinstimmen.

Die große Bedeutung der Lage Lauenburgs für tiergeographische Fragen, welche in umgekehrtem Verhältnis zur Kleinheit des Landes steht, soll an der Schmetterlingsfauna des Gebietes dargelegt werden.

Die Schmetterlingsfauna Lauenburgs ist allerdings noch recht ungleichmäßig erforscht. Gut bekannt sind lediglich die südlichen Teile, nämlich der Sachsenwald und das Elbufer bis zur Stadt Lauenburg hin; hier sammeln seit über 100 Jahren die zahlreichen Sammler aus Hamburg-Altona. Die übrigen Teile Lauenburgs sind nur ganz gelegentlich besammelt. In vielen Gegenden ist überhaupt noch kein Schmetterlingssammler gewesen. Trotzdem haben die bisherigen Beobachtungen schon recht viele Besonderheiten der Schmetterlingsfauna gegenüber anderen Teilen der Provinz Schleswig-Holstein ergeben, sowohl hinsichtlich des Vorkommens bestimmter Arten wie hinsichtlich der Häufigkeit des Auftretens und der allgemeinen Verbreitung anderer Arten.

Auf das Wichtigste soll nachstehend in systematischer Aufzählung der Arten hingewiesen werden:

In Schleswig-Holstein sind die eigentlichen "Weißlinge", zu denen die jedem Laien bekannten schädlichen Kohlweißlinge gehören, durch 5 regelmäßig auftretende Arten (Baumweißling, großer Kohlweißling, kleiner Kohlweißling, Rübenweißling und Resedafalter) vertreten. In Lauenburg kommt außer diesen 5 Arten noch STÄNDIG der Senfweißling (Leptidia sinapis L.) vor; im übrigen Gebiet der Provinz ist er nur ganz vereinzelt beobachtet. Bisher ist dieser zarte Schmetterling nur im Mai in den Waldgebieten Lauenburgs gefunden worden. Bei genauerer Durchforschung wird er aber gewiß auch noch in seiner zweiten Generation im Juli, August beobachtet werden. (Abb. 1.)

Recht verbreitet und nicht selten sind in Lauenburg sodann zwei unserer größten und schönsten Tagfalter, der große Schillerfalter (Apatura iris L.) und der Eisvogel (Limenitis populi L.). (Abb. 2 u. 3.)
 

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Im Sachsenwald sind beide Arten in manchen Jahren sogar häufig anzutreffen. Die Raupe des Schillerfalters lebt auf Saalweiden, diejenige des Eisvogels auf Espen; beide ziehen an Waldrändern stehende höhere Bäume vor.

Häufig trifft man in Lauenburg weiter die sog. Perlmutterfalter (Gattung Argynnis) an, von welchen die häufigste Art, der "Kaisermantel". Argynnis paphia L., im Spätsommer und Herbst alle Waldlichtungen und Waldränder belebt, wo er Brombeer- und Distel-Blüten besucht. In Lauenburg findet man

 




(Abb. 1) LEPTIDIA SINAPSIS L. (Senfweißling).
(Abb. 4) CHRYSOPHANUS VIRGAUREAE L. (Dukatenfalter).
(Abb. 2 u. 3) Obere Figur: APATURA IRIS L. (Großer Schillerfalter).
Untere Figur: LIMENITIS POPULI L. (Eisvogel).
(Abb. 5) CARTEROCEPHALUS SILOIUS L.
(Abb. 6 u. 7) Obere Figur: RHYPARIA PURPURATA L. (Purpurbär).
Untere Figur: ARCTIA VILLICA L. (Englischer Bär).

(Die Figuren sind etwas verkleinert.)

 

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nun recht häufig noch einen anderen, im übrigen Teil der Provinz nur ganz vereinzelt beobachteten großen Perlmutterfalter, Argynnis adippe L., wie z. B. im Sachsenwald, in der Umgegend von Ratzeburg usw.

Auf Melanargia galathea L., das Schachbrett, einen Tagfalter, der in den letzten Jahrzehnten in Norddeutschland eingewandert ist und auch schon einige Male in Ostholstein, insbesondere in Lauenburg, gefunden ist, soll noch besonders eingegangen werden.

In sandigen Gegenden, trockenen Kiefernschonungen und an sonnigen Abhängen fällt Satyrus alcyone Schiff. auf, ein großer schwarzer Tagfalter mit breiter weißer Außenbinde über alle Flügel: dieser Falter erreicht in Holstein die Nordwestgrenze seiner Verbreitung in Mitteleuropa. Er ist im Lauenburgischen recht häufig und verbreitet. Außerhalb Lauenburgs ist er bisher für Schleswig­Holstein nur an der Grenze Lauenburgs bei Oldesloe und ferner noch bei Eutin festgestellt. Das ist recht auffallend, denn in Lauenburg ist die Art so häufig, daß sie nicht übersehen werden kann. Die Raupe lebt an Gräsern.

Vielleicht wird bei genauerer Durchforschung des Gebietes auch Satyrus statilinus Hufn., ein vor Jahrzehnten im Sachsenwald und bei Bergedorf gefangener Falter, wieder entdeckt, welcher weiter nordwestlich niemals gefunden ist.

Häufiger als im übrigen Schleswig-Holstein kommt in Lauenburg Coenonympha arcania L. vor.

Thecla spini Schiff., ein kleiner Tagfalter, dessen Raupe an Rhamnus cathartica lebt, erreicht bei Escheburg nach unseren Kenntnissen die Nordwestgrenze seines ganzen Verbreitungsgebietes.

Ein Charakterfalter Lauenburgs ist der Feuerfalter Chrysophanus virgaureae L. Das Männchen, dessen Flügel oberseits zeichnungslos glänzend goldrot gefärbt sind, ist im Sonnenschein, der die Flügelfärbung weithin erstrahlen läßt, nicht zu übersehen. (Abb 4.)

Noch vor 60-70 Jahren etwa hat der Falter in ganz Nordwestdeutschland gefehlt; auf seine Einwanderung wird später noch eingegangen werden.

Auch von dem gelben schwarzgefleckten Tagsfalter Carterocephalus silvins Knoch, der seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im Sachsenwald nicht selten auftritt, wird weiter unten ausführlicher die Rede sein. (Abb. 5.)

Aus der Gattung der Spinner seien folgende Arten erwähnt: Gluphisia crenata Esp. ist bisher in unserer Provinz nur in Lauenburg gefangen; sie erreicht hier nach unseren jetzigen Kenntnissen die Nordwestgrenze ihrer Verbreitung. Dasselbe gilt für die beiden Ochrostigma-Arten velitaris Rott. und melagona Bkh.; die Raupe von velitaris lebt vorzugsweise auf Eichen, diejenige von melagona auf Buchen. Häufiger als im übrigen Teil der Provinz' [sic!] scheint in Lauenburg die Raupe von Malacosoma castrensis L., welche trockene sonnige Flächen liebt, vorzukommen.

Von den übrigen Nachtfaltern sind die folgenden Arten besonders bemerkenswert: Acronycta strigosa F., die im Sachsenwald früher öfter, in den letzten Jahren nur vereinzelt gefangen ist, Agrotis subrosea Steph., eine seltene an Moore gebundene Art, welche in einer besonderen, sowohl von der ausgestorbenen englischen Nominatform wie von der ostdeutschen und russischen Rasse abweichenden bemerkenswerten Form vorkommt, Mamestra glauca Hb., ebenfalls eine seltene, die Moore bevorzugende Art, Mamestra chrysozona Bkh., früher bei Geesthacht gefangen, Celaena haworthii Curt., nicht selten auf Mooren, Hadena pabulatricula Hb., manchmal häufig im Sachsenwald, Coenobia rufa Hw., bei Mölln auf Sumpfgebiet gefangen, Cucullia argentea Hufn., deren Raupe an Artemisia campestris oft nicht selten ist, Tholomiges turfosalis Wocke, eine kleine an Moore gebundene Art, welche ich im Jahre 1929 häufig auf dem Salemer Moor gefunden habe; vereinzelt war sie früher schon im Sachsenwald und bei Mölln beobachtet.

An weiteren Arten sind zu nennen: Dysauxes ancilla L. (früher bei Reinbek im Sachsenwald, Nordwestgrenze des Verbreitungsgebietes), Rhyparia purpurata L. (die an Ginster u. a. niederen Pflanzen lebende Raupe ist im Sachsenwald und bei Geesthacht gefunden), Arctia villica L. (früher angeblich im Sachsenwald gefunden, in Mecklenburg verschiedentlich beobachtet), Pericallia matronula L., der sog. "Augsburger Bär", ein überall seltener großer Bärenspinner, dessen Raupe früher im Sachsenwald gefunden ist, Coscinia striata L.

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(Mölln), Acidalia nemoraria Hb. (früher im Sachsenwald, Nordgrenze des Verbreitungsgebietes), Acidalia violata v. decorata Hb. (Sachsenwald), Ephyra quercimontaria Bastelb. (Sachsenwald), Phibalapteryx aquata Hb., welche im Sachsenwald (und bei Niendorf a. O.) gefangen ist und deren Raupe in Mitteldeutschland an Clematis vitalba, in unserem Gebiet aber, in welchem die Waldrebe nicht wild vorkommt, vielleicht an Pulsatilla leben wird, Arichanna. melanaria L. (auf Mooren mit Vaccinium uliginosum), Boarmia secundaria Esp. (Sachsenwald). (Abb. 6 u. 7.)

Um die Besonderheiten im Faunenbilde Lauenburgs zu erklären, genügt es nun nicht, auf die Flora Lauenburgs und ihre Eigenart zu verweisen. Denn nur bei sehr wenigen Großschmetterlingsarten besteht ein Zusammenhang zwischen der Verbreitung der Futterpflanze der Raupe und der Verbreitung der Art selbst. Bei den Großschmetterlingen deckt sich in der Regel das Verbreitrmgsgebiet der Art mit demjenigen irgendeiner Futterpflanze nicht. Nur bei ganz wenigen der ca. 820 Großschmetterlingsarten, welche in Schleswig-Holstein vorkommen, ist die Verbreitung durch das Vorkommen einer bestimmten Futterpflanze bedingt. Grade bei den oben aufgeführten Arten sind bis auf drei Arten die Futterpflanzen ihrer Raupen weit verbreitet, viel weiter, als die Falter vorkommen. Die drei Arten, welche hiervon eine Ausnahme machen, sind Cucullia
argentea Hufn., Phibalapteryx aquata Hb., Arichanna melanaria L.; ihr Vorkommen dürfte in der Tat von dem Vorhandensein einer bestimmten Futterpflanze in unserem Gebiet abhängen. So lebt die Raupe von C. argentea in Nordwestdeutschland wohl ausschließlich an der recht ungleichmäßig verbreiteten Artemisia campestris. Die Raupe von Phib. aquata frißt, wie schon hervorgehoben, wahrscheinlich Pulsatilla, die sich in Ostholstein findet. Arichanna melanaria L. ist von dem Vorkommen der Rauschbeere, Vaccinium uliginosum, abhängig, die ebenfalls im Lauenburgischen besonders häufig wächst.

Anders als bei den Großschmetterlingen dürften die Zusammenhänge, um das kurz zu erwähnen, bei den sogenannten Kleinschmetterlingen, den Microlepidopteren sein, die infolge der besonderen Lebensweisen ihrer Raupen vielfach eng an bestimmte Pflanzen gebunden sind. Leider sind die Kleinschmetterlinge, von denen etwa 1200 Arten in Schleswig-Holstein vorkommen werden, sowohl in Lauenburg wie im übrigen Teil der Provinz so ungleichmäßig und unvollständig gesammelt, daß sie in der vorliegenden Arbeit außer Betracht bleiben müssen. Es ist aber dringend erwünscht, daß ihnen mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Gerade in Lauenburg dürften auf diesem Gebiete wertvolle und allgemein bedeutsame Ergebnisse gewonnen werden können.

Was die Großschmetterlinge anbetrifft, so kann aber, um dies noch einmal hervorzuheben, die eigentümliche Verbreitung vieler Arten in Lauenburg außer in ganz vereinzelten Fällen nicht durch das Vorkommen bezw. Nichtvorkommen einer bestimmten Futterpflanze erklärt werden. Für die besondere Art der Verbreitung dieser Schmetterlinge in Ostholstein und Lauenburg sind ganz andere Gründe maßgebend. Hierüber soll in einem weiteren Artikel die Rede sein.


 


 

 

 

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