Der Erbauer des Domes zu Ratzeburg war fast
noch Volcharts Zeitgenoß. Seine Leistung steht lebendig vor uns,
und dadurch in gewissen Zügen die Persönlichkeit. Der Name ist
verschollen.
Zum Dombau war der Grund gelegt von Heinrich dem Löwen am
13. August 1154. Es muß also der Plan
damals festgestanden haben. Er ist in den Grundzügen derselbe,
nach dem Heinrich auch die beiden anderen Dome, den zu Lübeck
und zuletzt, 1173, den Stiftsbau St. Blasii zu
Braunschweig hat errichten lassen. In Ziegeln erbaut, gilt er
als die Blüte und Vollendung unseres romanischen Ziegelbaus
nicht mit Unrecht. Er hat den Stoff des Backsteines und die sich
damit verbindende Technik aus dessen Ursprungsgegenden, also von
Volchart dem Erfinder. Aber er hat nicht einmal den Segeberger
Gips zugleich angewandt, sondern gebräuchlichen Kalkmörtel
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beschafft, und auch die Behandlung der Ziegel
zeigt, daß der Ziegel etwas Angelerntes, Übernommenes war.
Im Backsteinbau der ersten Art gab es nichts von Steinmetzarbeit. Hier für den
Dombau haben die zuerst tätig Gewesenen nur den Hausteinbau gekannt, haben die
Ziegel behauen und sich nicht einmal um die Bedingungen des unverbrüchlich
feststehenden Formates gekümmert. So finden sich, eigentümliche, stark
profilierte Sockelgliederungen, frei nach der attischen Art. Ferner viele
Lisenen, nicht von der kantigen, sondern von runder Gestaltung. Am bedeutsamsten
die Profilierung der vertikalen Kanten im östlichen Teile: da herrscht strenge
das charakteristische sächsische Hausteinprofil. In der Vorhalle eine Stütze vom
Querschnitt des Vierpasses, bereichert durch Einsprünge in den Winkeln
dazwischen. Ebenda eine kleine, in der Dicke der Wand ausgesparte Apside. All
das ist hiesigem Stile fremd. Ganz auffällig und unbegreiflich ist das Eintreten
zweier großer plumper roher steinerner Kragsteine, auffallend auch die Anordnung
von Lisenen, die am Obergadem [sic!] hart zwischen
den gepaarten Fenstern aufsteigen.
Die Eigenart des Meisters beschränkte sich nicht auf diese Züge; er hatte eine
besondere persönliche Freude an weiterer Mannigfaltigkeit. So wandte er im
Fortschritte des Bauens statt jenes stärkeren sächsischen Profiles das der
einfachen Kantonierung an, oder ließ auch die Kanten ganz ungegliedert, so im
Westteile, den ein sächsischer Querturm, oder ein Zwillingsturm, krönen sollte.
Die Kantonierung ist in hiesigen Landen sonst erst im Übergangsstil häufig, und
dann geradezu leitend geworden. Ferner hat im Schiffe ein Paar der
Zwischenpfeiler quadratischen Querschnitt erhalten, dessen Kanten sich in davor
geschobenen Rundstäben bergen, und für ein Joch hat er
durchaus zur Abwechselung das in Lübeck herrschend gewordene "lübische"
Kantenprofil durchgeführt.
Daß einer der Arkadenbogen einen entschieden hervortretenden Spitzbogen zeigt,
kann der ursprünglichen Absicht nicht entsprechen, sondern ist aus einem
Meßfehler zu erklären; aber es zeigt sich daran die Unbefangenheit des
Baumeisters, der keinen Anstoß genommen hat. Am Gewölbe des Haupt- und des
Querschiffes ist der primitive Spitzbogen zweckmäßigerweise angewandt.
Fügen wir weiter hinzu, daß der aufs Mannigfaltige gestimmte Geist, der sich
nicht finden mochte in die mit dem Ziegelbau verbundene Beschränktheit der
Formengebung, in der Gestaltung der Portale und der Fenster über das Übliche
hinausstrebte. Er gab bei den Fenstern in die gewöhnliche Schrägung der
Einfassung einen starken rechteckigen
Einsprung, und am liebsten ließ er in einem solchen einen Rundstab umlaufen.
Eine Gliederung, für Nordelbingen bis dahin unerhört, aber nachher zum
ausschlaggebenden Vorbilde gemacht.
Wie ist nun dies alles zu erklären? Daß der Plan aus Braunschweig gekommen ist,
steht fest. In Haustein entworfen, ist er in Ziegeln ausgeführt als dem Stoffe,
in dem das hier allein möglich war. Aber er ist vollführt nicht durch Kräfte,
die am Orte oder in der
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Nähe sich finden ließen. Zu Lübeck konnte, in
der mächtig aufstrebenden Stadt, auf die dortigen Kräfte und Mittel vertraut
werden; zu Ratzeburg, auf der entlegenen Insel, war an derartiges nicht zu
denken. Also hatte der Herzog, der die Anlegung gerade dieses Domes als seine
eigene Angelegenheit betrieb, auch für den Baumeister zu sorgen.
Und nun zeigen uns alle die angeführten einzelnen Züge, die diesen Bau so
entscheidend aus dem Kreise der wagrischen romanischen Bauten herausheben, daß
das wirklich so geschehen ist. Der Meister war an braunschweigische Kunst
gebunden und darin geschult. Wir haben im Braunschweigischen überall das
sächsische Profil, an manchen Stellen auch die einfache Kantonierung, und zu
Gandersheim den Vierpaßpfeiler. Der Pfeiler mit den Rundstäben vor den Kanten
ist unter dem Löwendenkmal, die eingetieften kleinen Apsiden an mehren Stellen,
so zu Schöningen, die runden Lisenen fast überall, und sogar die rohen plumpen
Kragsteine findet man dorten an entsprechenden Stellen. Auch den Rundbogenfries,
im wagrischen Ziegelbau unerhört, findet man zu Ratzeburg im Gegensatz zum
Kreuzbogenfries. Zwischen den gepaarten Fenstern sind auch am Braunschweiger
Dome Lisenen.
In der Gestaltung des Gewölbes über dem Hauptschiffe herrscht zwischen den
beiden Domen eine besondere, viel vermerkte Übereinstimmung. Wir haben da nicht
die Überdeckung der einzelnen von einander entschieden getrennten Joche je durch
eine starke Kappe, sondern das aus Tonnen gebildete Kreuzgewölbe. Von unten
gesehen, stellt sich das Gewölbe zu Ratzeburg, das vor dem Schlusse des 12.
Jahrhunderts fertig gewesen ist, dar als von einer langen, schwach spitzbogigen
Tonne überdeckt, in die Stichkappen einschneiden. In Besorgnis wegen des Schubes
hat der Ratzeburger Meister nicht nur ebenso den gespitzten Bogen durchgeführt,
auf den der Gebrauch des Ziegels geradezu hinlenkt, sondern auch, mit geringerer
Spannweite, unter die lange Tonne starke Gurte untergesetzt, die sehr
entschieden spitzbogig die Erscheinung ganz wesentlich beeinflussen. Wo diese
starken Gurte unter der Längstonne hergeführt sind, da setzt diese allemal, als
hier überflüssig erkannt, aus, eine recht auffällig wirkende Erscheinung, für
die aber der Vorgang im Gewölbe der Kirche zu Melverode bei Braunschweig ein
entsprechendes und höchst lehrreiches Gegenstück bietet.
Und so haben wir gefunden, wie der erfindungsreiche bewegliche Geist, in
braunschweigischer Baukunst erfahren, hier zu Ratzeburg gewaltet hat, um für
Nordelbingen das Meisterwerk der romanischen Baukunst auszuführen. Er
vollbrachte es in Gebrauch des Stoffes, des ungewohnten, der sich ihm darbot, um
den aus der eigenen Heimat
stammenden Plan auszuführen, aber die Ausführung ward von ihm überall
durchtränkt von dem Geiste der ihm vertrauten Kunst, und er hatte den Willen,
diesen walten zu lassen. Wir bedauern nur, daß in diesem Falle nicht ein
beredter Mund der Geschichte das Bild des Mannes weiter klärt und uns den Namen
dessen bewahrt hat, den wir IN SEINEN WERKEN erkannt haben.
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