Nach Fr. W. Rickmann (Festschrift S. 56)
muß es so scheinen, als habe er bei seinen langjährigen Arbeiten
"ältere Malereien" überhaupt nicht vorgefunden. Nirgends findet
sich bei ihm ein Wort darüber, daß noch zu seiner Zeit die
ganzen Wände des Domes bedeckt waren mit zahlreichen großen
Bildern. Weil sie erst dem 17. Jahrhundert
entstammten, galten sie ihm wohl nicht für "ältere Malerei", und
weil sie nicht schön waren, erschienen sie nicht einer Erwähnung
wert; es sei denn, daß er sie hinter die dunklen Worte
versteckt: "die übrige Bemalung der Wandflächen", als er von den
Zickzack-Bandstreifen an Pfeilern und Gewölben spricht. So ist
denn in unserer schnelllebigen, leichtvergessenden Zeit
ein eigenartiges Kunstprodukt vollständig vergessen, das mehr
wie zwei Jahrhunderte lang bestanden hat und vor nicht einmal
Menschengedenken erst verschwunden ist. In keiner der vielen
Beschreibungen, die es über den Dom gibt, findet man ein Wort
darüber. 7)
Wir besitzen dafür, daß diese Malereien bis zur großen
Restauration unter Daniel und Rickmann, die 1875
begann, sichtbar waren, unumstößliche Beweise:
Im Mecklenbg. Jahrbuch XXVI von 1859
schreibt LISCH: "1858 untersuchte ich die Kirche ..., vorzüglich wegen der Wandmalereien, da von mehrerer
Seite geäußert war, daß es sich schwer bestimmen lasse, ob sie
jung oder alt. Die Wände der Kirche sind ganz mit Wandmalereien
in grau bedeckt. Diese sind aber offensichtlich sehr jung und
ohne Zweifel in der 2. Hälfte des 17.
Jahrhunderts ausgeführt, als man anfing die Kirchen auszuweißen
und, freilich sehr schlecht, wieder zu bemalen ..." Nachdem
Lisch dafür Beweise erbracht und noch von den alten
(obenerwähnten) Ornamentmalereien an den Pfeilern usw.
gesprochen hat, fährt er fort: "Ob in der Höhe, z. B. an den
Gurtbogen, nicht noch alte Malereien zu finden sind, ist noch
die Frage. Überhaupt verdient die Kirche sowie der Kreuzgang
noch eine gründliche Untersuchung und Beschreibung. 8)
_______________
7) Auch Haupt in seiner ebenso trefflichen wie
ausführlichen "Geschichte und Art der Baukunst in Nordelbingen,
den Herzogtümern Holstein und Lauenburg sowie der Fürstentümer
Lübeck und Ratzeburg" von 1925 tut dessen nicht
Erwähnung. Er konnte nichts von ihnen wissen, denn er kannte den
Dom nicht vor seiner Wiederherstellung 1881.
8) Lisch's Anregung betreffs der gründlichen
Untersuchung ist bisher unverstanden geblieben. Die
Nachfolgezeit traf sogar Maßnahmen, sie vielleicht für alle Zeit
unmöglich zu machen. Man nannte das Restauration. Die spätere
Wiederauffindung der Kreuzgang-Malerei ist einem Zufall zu
verdanken. Wir werden noch sehen, daß auch bei ihrer
Ausbesserung letzten Endes nicht die Umsicht gewaltet hat, die
der Fund verdiente. Noch immer harren wichtige Untersuchungen,
sofern es nicht zu spät geworden ist, der Inangriffnahme. - Auch
Masch erwähnt milde den alten Zustand in der ungedruckten
Handschrift "Der Dom zu Ratzeburg":
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In den Aufzeichnungen des Propstes Joh.
Rußwurm, der seit 1859 seines Amtes waltete und 1890
starb, findet sich eine fast lückenlose Aufzählung der lateinischen
"Unterschriften der Wandgemälde im mittleren Gange von der Orgel an". Am Ende
der "Aufzeichnungen" (S. 151) bringt er sogar eine eingehende
Beschreibung eines
großen Wandbildes über und hinter dem Altar: "das Jüngste Gericht".
Von diesen Bildern allen ist, anscheinend kurz vor ihrer Beseitigung, eine
Abzeichnung 9) genommen worden. Vielleicht wollte man sich dadurch vor der
Nachwelt rechtfertigen ob ihrer Vernichtung. Es ist eine mächtige Rolle
Zeichenpapier, alt und stockfleckig, die sich in der Dombücherei vorfand. Auf
ihr sind ohne Zeit- und sonstige Angaben, ebenso fleißig wie kunstlos sämtliche
Bilder und Inschriften wiedergegeben. Trotz der Kunstlosigkeit aber gewähren sie
guten Einblick in Art und Geist, in Alter und Herkunft der Wandbilder. Ergänzt
wird das ganze durch ein beigefügtes Schreibblatt, das schlecht und recht auch
die Übersetzung der Inschriften bringt.
Später hat der leitende Geist der Dom-Wiederherstellung von 1875-81,
dessen Wort für die Beseitigung der Bilder wohl den Ausschlag gegeben haben
dürfte, folgendes vernichtende Urteil über sie gefällt. Oberbaurat Daniel
schreibt unter dem 11. 6. 1895 an den
damaligen Domprobst in einem Briefe: "Bei der ersten Restauration wurde (u. a.)
hergestellt: die Ncubemalung der Gewölbe und Wände nach Beseitigung der
abscheulichen tintenfarbenen symbolischen Schmierereien."
Das Zeichenblatt zeigt 19 größere und kleinere Bilder von
auffallender Häßlichkeit. Zwischen ihnen sind außerdem noch 14
sehr plumpe Gesellen in Mönchstracht sichtbar, die sich durch ihre Attribute und
Unterschriften als neun Apostel, Moses und vier Propheten ausweisen.
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"Die Bemalung der Wände in Grau und im Geschmack der damaligen Zeit ist aus der
letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Hoinckhusen, der als
CANONICUS ULTIMUS und AEDILIS 1682 starb, hat durch seinen Namen
und Wappen die Zeit bestimmt." Vielleicht steht hiermit eine Bemerkung Kunrads
von Hövelen, des lübischen Reiseschriftstellers, in Zusammenhang, welcher in
seiner Beschreibung des Domes 1667 erzählt: "Außerhalb oben am
Chorgestüll hat das Wetter geschlagen / und die Gülden Buchstaben ausgelöschet
und geschwärzet / so wol zu märken." - Im Ratzeburger Probstei-Archiv findet
sich eine kleine Handschrift: "Beschreibung der Domkirche". Sie hat zum
Verfasser Immanuel Rußwurm, der bis 1846 der aufgehobenen
Domschule und bis 1852 der Lauenburgischen Gelehrtenschule als
Schüler angehörte. (Imman. Rußwurm, ein Verwandter des späteren Domprobsten
Johannes Rußwurm, ist 1863 in Ludwigslust als Lehrer und Theolog
gestorben.) Die Schrift ist sichtlich eine zensierte Schülerarbeit und wird vor
1852 entstanden sein. In diesem Heft (S. 9) steht
folgendes: "Die Wände des Hauptschiffes, der Turmhalle, des Querschiffes und der
Altartribüne
sind mit großen Fresko-Bildern verziert, die aber teils, weil sie so schlecht
gemalt, teils weil sie so alt und verwischt sind, der Kirche durchaus nicht zur
Zierde gereichen." - Die Töchter des Malers Rieckhoff, welcher um 1880
unter Rieckmann den Anstrich und die Übermalung des Dom-Innern bewirkte,
entsinnen sich dieser großen Bilder noch gut von ihren Besuchen her, die sie bei
ihrem Vater während dessen Arbeit machten. Auch sie bestätigen übrigens, daß die
Wände "abgekratzt" wurden, ehe sie neu übertüncht wurden.
9) Siehe Abbild der Nachzeichnungen der Wandmalereien usw. S. 137.
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Abbild der Nachzeichnungen der Wandmalereien aus dem 17.
Jahrhundert
im Ratzeburger Dom vor ihrer Vernichtung um 1880.
Phot. A. Hannig, Ratzeburg.
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Vom Geiste des Barock, der doch zu gleicher
Zeit im Dome so Bedeutendes geschaffen hat, kaum ein Hauch! Spätere
Ausbesserungen (s. Arndt's Vermerk in den Repetitorien) können daran kaum etwas
verdorben haben.
Zur Kennzeichnung von Geist und Sinn der Bilder nur 2 Beispiele:
Das letzte Bild, "beim Taufstein links": Unter einem Betthimmel steht ein
großmächtiger aber leerer Sorgenstuhl; vor diesem ein Wickelkind, das auf einem
Kasten liegt; dahinter ein geflügelter Engel in sehr langem Röckchen; darunter:
"EN INDUE CHRISTUM".
Und das erste Bild im Mittelschiff: Vor einer harmlos dasitzenden "Dame" steht
ein kläffender Köter; darüber eine Waage, welche eine Hand aus den Wolken
herabhält; zwischen den Waageschalen ein Auge; darunter: "NIL LATRASSE IUVABIT =
"Es wird ihm nichts nützen, gebellt zu haben".
Versöhnend allein wirkt die wahrhaft kindlich-naive Auffassung, die aus dem
Ganzen spricht. So sind die Bilder zu werten als ein Ausdruck kirchlich-frommen
Sinnes zu einer Zeit, in der sich bereits gar Viele darüber erhaben fühlten.
Darum brauchen sie auch nicht schamhaft totgeschwiegen zu werden.
Ihr Alter: Über dem Bilde hinter dem Altar halten zwei fragwürdige
Engelsgestalten ein bretzelförmiges Spruchband, das in seiner Umschnörkelung die
Zahl 1646 zeigt. (Dies ist übrigens das Eintrittsjahr Hoinckhusens in das
Kapitel.) Das Bild "der Orgel gegenüber" trägt die Angabe: "Ano
1648". Zwischen
den Bildern "im Mittelschiff links" befinden sich zwei Wappen mit Spruchbändern.
Das eine soll das uns bekannte Hoinckhusen'sche Wappen darstellen; unter ihm
steht: "DIAKONUS HINRIKUS HOINCKHUSEN". Das
andere ist das des Probstes Gutzmer, wie es dessen Leichenstein zeigt; unter ihm
steht: "DN. LAURENTIUS GILMER" (was verwischt gewesen zu sein scheint).
"EKKLESIA HAUPTPASTOR" (!) Hieraus ist zu ersehen, daß die seltsame
Ausschmückung des Domes sich durch Jahrzehnte hingezogen hat, denn erst
1667 wurde Gutzmer am Dome als Pastor angestellt. -
Trotz der unvollkommenen Abzeichnung hebt sich eines der Bilder sichtlich von
den anderen ab, als gehöre es nicht zu ihnen: "Das Jüngste Gericht" über dem
Altar in der Apsis. Die Zeichenrolle gibt es so wieder, wie es Probst Rußwurm
(Handschrift über den Dom) beschreibt:
"An der Kuppel des runden Turmes über und hinter dem Altar ist das jüngste
Gericht auf die Wand gemacht, aber wohl nicht AL FRESCO, und auch nur schwarz.
In der Mitte sitzt Christus auf einem Regenbogen, den rechten Fuß auf die
Erdkugel stützend, den linken in Wolken verhüllt, mit ausgebreiteten Armen den
Segen sprechend ... "
Es folgt eine eingehende Beschreibung, in der Moses und die Propheten, Engel und
Teufel, Paradies und Hölle, die Seligen und die Verdammten auftreten.
Wenn es auch das altbekannte, vielbehandelte Motiv darstellt, so will sich doch
hier ein Vergleich aufdrängen: Die Stiftskirche in Königslutter, die bereits
mehrfach erwähnte, hat ein anscheinend ganz
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Ähnliches aufzuweisen. Wiehe schreibt: "Die
Hauptapsis erscheint fast ganz in der wiederhergestellten ursprünglichen
Bemalung", wie sie 1886 bei den Erneuerungsarbeiten entdeckt worden war. "Der
Mittelpunkt ist der in der MAJESTAS thronende Christus ... Er sitzt auf einem
Throne und ist von einer als Regenbogen gebildeten Mandorla
umgeben ..." Vielleicht lag auch dem Ratzeburger Chor-Bilde ähnliche alte
Malerei zugrunde. -
Wenn die Wiederhersteller des Domes jene Bilder alle beseitigten, weil sie
inmitten des hehren, ernsten Gotteshauses lächerlich wirkten, so will das
begreiflich erscheinen. Nur hätten sie nicht "abgekratzt" werden sollen, vor
allem nicht das "Jüngste Gericht", zumal dieses nicht einmal störend gewirkt
haben mag.
Von anderen älteren Malereien, die Immanuel Rußwurm als im Dome befindlich
erwähnt, die aber heute gleichfalls verschwunden sind, ist nicht gesagt, ob es
sich um Wand- oder Tafel-Malerei gehandelt hat. 10) Von der letzteren wird an
anderer Stelle die Rede sein.
Die jetzige Ausmalung des Domes beschränkt sich hinsichtlich der Wandbilder auf
die lebensgroßen Gestalten der 12 Apostel an den Pfeilern und
zweier Engelsgestalten an der Orgel. Unter ersteren die Namen, unter letzteren
die Sprüche: "Singet dem Herrn" und "Lobet seinen Namen". An den Wänden der Apsis zu
Seiten des Hochaltares: "Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth. Alle Lande
sind seiner Ehre voll" und "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und
den Menschen ein Wohlgefallen". Die Entwürfe der Malerei sind von Maler von
Occolowitz-Schwerin 1894 und ausgeführt von Michaelis und Krause-Wismar.
Die Ornamentmalerei der Wände und Gewölbe zeigt in häufiger Wiederholung das
alte Weihekreuz. "Sie soll sich anlehnen an die ursprüngliche Ausmalung, ist von
Daniel entworfen und durch Malermeister Rieckhoff-Ratzeburg ausgeführt. Im
übrigen wurden Pfeiler und Wände in Nachahmung des Backsteinrohbaues
angestrichen. Doch sind die grauen Fugen willkürlich und störend nach dem Lineal
gezogen, ohne sich an die darüber oder darunter durchscheinenden eigentlichen
Fugen zu halten. 11)
Von alten GLASMALEREIEN des Domes wissen wir nur soviel, daß sich unter den
reichen Zuwendungen Heinrichs des Löwen an den Dom nach der Zerstörung von
Bardowiek und seiner Kirchen "Fenster" befanden, die "bunt" gewesen sein mögen.
Von ihnen ist leider nichts erhalten. Die Landsknechte Mansfelds haben sie
1552
"eingeschlagen". (Masch S. 496.) Auch ist gewiß, daß dann später wieder im
Dome Glasmalereien vorhanden waren. In einer der um 1880 abgebrochenen Kapellen
befanden sich Fensterverglasungen mit buntbemalten Scheiben. Von diesen befinden
sich heute noch vier oder fünf - wohlverpackt, -
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10) Imman. Rußwurm S, 14: "An den Pfeilern dieses Ganges (d. h. des
Mittelschiffes) sind auf der Südseite 2 Bilder, die nicht mehr zu erkennen sind,
und auf der Nordseite ist eins, welches eine Situation aus der Leidensgeschichte
darstellt, gemalt von Heinrich Neumann nach einem Gemälde von Raphael." u. a. m.
11) Die Rechnung über alle Malarbeiten im Dome von 1876-82 an Wänden und
Denkmälern betrug 10 008 Mark.
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im Museum vaterländischer Altertümer in Kiel.
Eine dieser Scheiben zeigt ein Wappen mit Eicheln und der Beischrift "Hans Adam
Hüseler, Amtmann zu Ratzeburg". Von diesem ist bekannt, daß er 1664 gestorben
ist. Leider hat sich über diese Scheiben bisher nichts Näheres ermitteln lassen.
Im Sterberegister der Domgemeinde findet sich auch folgende Eintragung: "26.6.1671. Reichshofrat Curth Lützow, ein Katholik, in dem Dom beigesetzt in
der 1. Kapelle hinter der Kantzel, die Lützow-Kapelle genannt, daher, weil
lauter Lützow-Wappen in den Fenstern stehen."
Die jetzige Verglasung stammt von 1880 (sie kostete 4084 Mark). Die bunten
Fenster am Chor lieferte Dr. Oidtmann-Linnich (für 765 Mark).
Die "Memorialmalerei" der beiden Fenster in der Stirnwand des südlichen
Querschiffes stellen in dankbarem Andenken den mächtigen Gründer des Domes,
Heinrich den Löwen, und den hochherzigen Wiederhersteller, Großherzog
Friedrich-Wilhelm von Mecklenburg-Strelitz, mit ihren Gemahlinnen dar. 12) Das
große neue Rosettenfenster
in der Westwand, im Turmschiff über der Orgel, zeigt König David mit der Harfe.
Sie sind 1895 gestiftet, als der Dom nach dem Turm- und Dachbrand von
1893 seine
Wiederherstellung erfahren hatte, und sind verfertigt von der Tyroler
Glasmalerei in Innsbruck nach ihren eigenen Entwürfen. (Brief Daniel's an den
Domprobst vom 11. 6. 95.)
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12) Mathilde Plantagenet und Augusta-Caroline, Prinzessin von
Großbrittannien und Irland.
(Fortsetzung folgt.)
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