Das alte, mehr wie einhalbtausendjährige
Kloster- und Kapitelgebäude am Dom zu Ratzeburg zeigte
Alterserscheinungen. Da entschloß man sich - noch waren die
Wiederherstellungs-Arbeiten am Dom nach dem Turm- und Dachbrande
von 1893 im Gange - zu durchgreifender
Ausbesserung.
Bei Vorarbeiten hierfür, im Sommer 1895, fanden
Bauarbeiter, welche die nördliche (Innen-)Wand des nördlichen
Kreuzgang-Armes abklopften, daß die großen spitzbogigen
Fensterblenden, die sich zwischen den Pfeilern befinden,
vermauert waren. Als man die vorgesetzte dünne Backsteinschicht
beseitigte, zeigten sich hohe und breite, ziemlich flache
Nischen frühgotischer Form, ähnlich den Fensterblenden der
Außenwand des westlichen Kreuzgangarmes von 1259,
und - was nur Lisch bisher zu ahnen gewagt hatte - auf dem
Grunde der Nischen fanden sich bedeutende Reste alter Malerei.
Die Bilder mit ihren vielen Spruchbändern und Inschriften waren
zum größten Teil vortrefflich erhalten, lange Jahrhunderte
bestens geschützt durch die sie verhehlende Steinschicht vor den
Unbilden ewigfeuchter Witterung und - mehr noch - vor
menschlichem Unverstande.
Neben den Bildern fanden sich noch teilweise übergroße
Wappenschilde und Helmschmuckreste aufgemalt. Als man die
gegenüberliegende innere Fensterwand von der Tünche befreite,
zeigten sich auch hier zwischen Fenstern und Pfeilern die Reste
von Gestalten, nur in Umrissen schwarz auf weiß gemalt, die sich
durch Mitra und Krummstab als Bischöfe auswiesen. Seitlich über
den Köpfen weisen sie kleine Wappenschilde auf.
Der Fund erregte berechtigtes Aufsehen. Man schrieb die Malerei
dem 13. Jahrhundert (?) zu, in welchem ja, wie die
alte prächtige Ziegelstein-Inschrift an der Außenwand des
Kapitelgebäudes besagt, die Klosteranlage aufgeführt worden ist.
Nach der Reformation mochten die Bilder vermauert worden sein,
als man Alles, was an den katholischen Gottesdienst erinnerte,
zu beseitigen bestrebt war.
Bisher kannte man aus der Frühzeit des Domes keinerlei
Wandmalereien. Die Mauer der Hauptwand bietet sieben solcher
breiten
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Herzöge von Braunschweig. Herzöge von Sachsen. 3 Bischöfe v.
Blücher. v. Parkentin und v. Jesow.
Nischen dar. Die erste, am westlichen Ende des Ganges, liegt in
dunkler Ecke. Sie war unbemalt. In der zweiten war die alte Malerei fast völlig
zerstört, in der dritten bis siebenten dagegen so gut erhalten, daß nicht nur
ihre Wiederherstellung möglich war, sondern auch das vernichtete erste Bild
unschwer nach den inneren Zusammenhängen nachgebildet werden konnte, zumal sie
sämtlich durch Unterschriften und Spruchbänder erklärt sind, die großenteils gut
lesbar waren. 13)
Nach Beendigung der baulichen Instandsetzungen des Kreuzganges und der ganzen
Gebäude wurde 1899 zur Wiederherstellung und Ergänzung des
Bilderkreises durch den Schweriner Maler O. von Ocolowitz geschritten. 14)
Die sechs ausgemalten Blenden zeigen entsprechend ihrer Dreiteilung und des
Querstreifens jedes sechs kleinere Bilder, die von sehr einfachem gotischen
Gemäuer umrahmt sind. Die mittleren Felder sind turmartig überdacht, die
Seitenfelder von Kreuzblumen gekrönt.
Die Malerei versinnbildlicht zusammenhängend das "Credo", das uralte
apostolische Glaubensbekenntnis oder Symbolum, das den Inhalt des christlichen
Glaubens zum Ausdruck bringt und beiden christlichen Kirchen, der katholischen
wie der evangelischen, gemeinsam ist. Gott-Vater, Sohn und Heiliger Geist sowie
Bilder aus dem Leben Christi füllen die mittleren Felder; die linken enthalten
die 12 Apostel mit Spruchbändern in den Händen, die das Credo vom
Anfang bis zum Amen fortlaufend hersagen. Die rechten Seitenbilder weisen König
David und 11 Propheten ans, die gleichfalls Spruchbänder mit
biblischen Sprüchen halten.
Die Schrift ist bis auf größere Anfangsbuchstaben in gotischen Minuskeln, was
auf die zweite Hälfte des 14. oder den Anfang des 15.
Jahrhunderts als Entstehungszeit hinweist.
Mag auch der Kunstwert der Malereien unbedeutend sein - sie zeigen keine
Meisterhand und stehen unter dem Drucke scholastischer Denkweise, der höheren
Schwung ausschloß -, so haben sie doch unstreitig hohen Wert für die Geschichte
des Domes und für die Beurteilung der alten Zeit, in der sie entstanden. In
ihrer schlichten
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13) Von den Bildern III bis VI sind
damals von dem Ratzeburger Photographen Lassen vorzügliche große Bilder
aufgenommen worden, die klar den damaligen Zustand der Bilder, also auch diese
selbst, erkennen lassen.
14) Unter den Bildern III, IV, V und VI
steht heute: "A. V. O. REST." und unter Bild I "A. V. OCOLOWITZ
FECIT" und die Jahreszahl "ANNO MDCCCXCIX".
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Altertümlichkeit trefflich zu dem Bau passend, gereichen sie
ihm zu einzigartiger Zierde.
Von den Wappenmalereien neben den Bildern ist gleichfalls bezeugt, daß sie echt
sind. Neben der ersten Bildergruppe das Wappen des Domgründers, des großen
Welfen. Es zeigt die beiden springenden Leoparden wie das Schildchen auf der
Domgründungstafel am südlichen Hauptportal. Sie sind unrichtigerweise als
"Löwen" wieder hergestellt. 15)
Rechts und links der zweiten Bildergruppe die Helmzier und das alte
Sachsenwappen der Lauenburgischen Herzöge, die sich ja Herzöge von Sachsen,
Engern und Westfalen nannten. Beide, Helmzier wie Schild, entsprechen vollkommen
dem großen Wappen Herzogs Erich von 1360. 16) Es ist
der "rechtsgelehnte sächsische, zehnmal quergestreifte Schild mit schrägrechts
liegendem Rautenkranz", der Helm "mit wallender Helmdecke und zwei
quergestreiften Büffelhörnern".
Neben der dritten Bildgruppe das schrägrechts gestellte Blüchersche
Schlüsselwappen mit dem Bischofsstab; auf der anderen Seite eine Helmzier mit
einem Zweig. Der Dom hat drei Bischöfe aus dem Geschlechte derer von Blücher
erlebt: Ulrich (1257-1284), Hermann (1291-1309)
und Wipert (1356-1367). Des Letzteren Grabstein im
Dome zeigt das gleiche Schlüsselwappen.
An der gegenüberliegenden Fensterwand befinden sich unter den Gewölbebögen
einfache Malereien, als Schwarzweiß-Zeichnungen Bischofsgestalten mit Mitra und
Krummstab; sie rühren auch von Ocolowitz her. An ihrer Stelle hatte man nämlich
Reste alter Malereien gefunden, nach denen sich der Maler gerichtet haben mag.
Unter der neuen Tünche treten heute wieder alte Malereispuren zu Tage.
Während also diese Gestalten mehr oder weniger freie Erfindung des Malers
bedeuten, sind die kleinen Wappenschilde zu Häupten der Gestalten zum Teil
wenigstens unzweifelhaft alt und echt, ohne "aufgefrischt" zu sein. So
jedenfalls das erste und sechste Wappen. Bei letzterem sind z. B. die acht
Lilien erst jetzt durch einen Zufall von mir bloßgelegt worden.
Von den sechs Wappen sind fünf klar zu erkennen und feststellbar. Nr. 1
ist das des 18. Ratzeburger Bischofs, Gerh. v. Holdorp,
der von 1388-1395 regierte; Nr. 4 das
des 17., Heinr. von Wittorf (1368-1388);
Nr. 5 das des 16., Wipert v. Blücher (1356-1367);
Nr. 6 das des 15., Otto v. Grönau (1355-1357).
Das zweite Wappenbild ist verlöscht; das dritte, drei Kränze, ließ sich bisher
nicht bestimmen. 17)
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15) J. F. Lauenburg (s. o., 1835) tut ihrer
Erwähnung als "einem Paar Löwen ähnlicher Bestien", die er noch unter "den
leicht gemalten Verzierungen" an Gewölbe und Wand des nördlichen Kreuzganges
erkannte, deren "Malereien sich aber in sehr schlechtem Zustand mit
wahrscheinlich sehr veränderten Farben" befand.
16) Meckl. Urk.-B. XI, S. 624.)
17) Das hier festgestellte v. Holdorpsche Wappen gestattete übrigens
einen Vergleich von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Das alte Ansveruskreuz
bei Einhaus zeigt offensichtlich das gleiche Wappen mit dem Kranze, der
"blütentragenden Dornenkrone Christi", wodurch das Alter des Kreuzes mit einer
größeren Sicherheit als bisher zeitlich festgelegt werden kann. Siehe "Ansverus,
der Apostel und Märtyrer Lauenburgs, in Geschichte, Sage, Stein und Bild" von
Ferd. v. Notz, 1929, Lauenburgischer Heimatverlag, Ratzeburg i.
Lbg.
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Im östlichen Kreuzgange finden sich noch zwei
gleiche, bunte Wappen in verschiedener Größe. Sie stellen das v. Parkentinsche
dar. Detlef v. Parkentin, der 19. Bischof, regierte von 1395-1419.
Allerdings führte auch Marquard v. Jesow, der 13. Bischof, der von
1309 bis 1335 regierte, das gleiche Wappen. 18)
Jedenfalls verweisen die Wappen in die Zeit des 14. und des
anbrechenden 15. Jahrhunderts.
Ein alter Kreuzgang-Bewohner, Herr St., der die Wiederherstellungsarbeiten am
Kreuzgange mit erlebt und mit angesehen hat, bestätigt die Vermutung, die sich
auf die willkürliche Überzeichnung der Bischofsgestalten stützt, daß die Arbeit
leider nicht mit dem gebotenen Maße von Achtung vor dem Alten durchgeführt
worden ist. So wurden damals unter anderem umfangreiche alte Malereien auch an
dem breiten gotischen Gurtbogen der Kreuzgewölbe, da wo der östliche
Kreuzgangflügel in den nördlichen übergeht, unter der Tünche entdeckt. Auch
Figürliches soll dabei zu Tage getreten und schonungslos wieder übertüncht
worden sein. War vielleicht auch der künstlerische Wert zweifelhaft, der hohe
geschichtliche Wert jedenfalls wurde mißachtet. Vielleicht gelingt es später
einmal, den Fehler wieder gut zu machen.
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18) M. U.-B. XI, S. 448 zu 1309.
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