Seit vielen Jahren schon sammele ich
einheimische Kleinsäuger, da weder die bei uns vorkommenden
Arten restlos bekannt sind, noch deren Verteilung bei uns, noch
ihre Naturgeschichte. Oft wurden mir "junge Maulwürfe" gebracht,
aber stets waren es nur Spitzmäuse aller möglichen Arten. Das
ging solange, bis mir einfiel, daß ich selbst noch nie nestjunge
Maulwürfe gesehen hatte, nicht einmal halbwüchsige. Ich richtete
nun meine besondere Aufmerksamkeit darauf, frisches Material aus
Schleswig-Holstein zu bekommen und machte
O. Grabham, PHOT.
Nackte Maulwürfe, 2-3 Tage alt.
mir eine ungefähre Vorstellung von den Jungen.
Die Hoffnung auf frisches Material trog; auch ein Aufsatz nebst
Aufruf in einer vielgelesenen Zeitung der Provinz hatte keinen
Erfolg. Und meine Vorstellung von jungen Mullen erwies sich als
falsch. Doch mit beidem befand ich mich durchaus in guter
Gesellschaft: auch andern Feld- und Museumszoologen ging es
nicht anders. Eine Rundfrage an die nord- und mitteleuropäischen
Museen ergab das dürftige Resultat, daß nur an zwei Stellen
nackte Jungtiere bewahrt wurden, in Stuttgart und Kopenhagen.
Etwas ältere Junge, die ich ihrer Größe wegen nicht gleich
richtig erkannt hatte, entdeckte ich dann noch in der Sammlung
des Hamburger Zoologischen Museums und in meiner eigenen.
Wenn man Maulwürfe untersucht, kommt man zunächst zu dem
Ergebnis, daß es ausschließlich Männchen gibt; schon die alten
Sammler haben über das (angebliche) starke Überwiegen der Maul-
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Wurfmännchen geschrieben, und auch ich fand
zunächst nur solche. Aber eins dieser "Männchen" hatte 5 Embryonen bei sich: die
Geschlechter sind äußerlich fast gar nicht zu unterscheiden, ebenso wie bei
Spitzmäusen und Hyänen.
Eine Maulwurfwochenstube ist ein ziemlich kugelförmiges Nest aus Gras und Laub
oder beidem; das Baumaterial wird von dem Muttertier mit dem Maul eingeschleppt.
Die jungen Maulwürfe kommen recht unfertig zur Welt. Sie sind bei der Geburt
4 cm lang, sind nackt, kurzschwänzig und farblos. Die Tiere wachsen
schnell, bleiben aber noch sehr lange völlig unselbständig. Sogar Mulle, die
schon die Länge der Alten erreicht haben, besitzen noch keinen einzigen
O. Grabham, PHOT.
Etwa 2 Wochen alte Maulwürfe.
benutzungsfähigen Zahn, sind also darauf angewiesen, daß sie an
der Mutter saugen und daß sie ihnen Nahrung zuträgt, die sie heil
hinunterschlucken müssen. Noch an den konservierten Jungtieren sieht man
deutlich die zum Saugen typische Zungenhaltung. Rein äußerlich unterscheiden
sich diese zahnlosen Jungen von den Erwachsenen nur durch kürzere Behaarung. Die
Maulwürfe haben zwar Milchgebiß und bleibendes Gebiß, aber das Milchgebiß wird
bereits vor der Geburt wieder resorbiert, und am lebenden Tier kann man nur
bleibende Zähne finden. Bei Schnitten durch den Kopf von Embryonen sieht man
beide Zahngarnituren übereinander.
Woran liegt es nun, daß man so gut wie nie junge Maulwürfe bekommt, und auch die
Sammlungen kaum deren enthalten? Es kann nicht daran liegen, daß
Kleintiersammler "so gemeines Zeug" nicht erst aufheben, denn die äußere
Erscheinung ist so überraschend, daß
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auch ein Unbefangener aufmerksam wird, wenn
er ein solches kleines "Walroß" sieht. Die Gründe müssen wohl in der Biologie
gesucht werden. Die Zeit von Ende Mai bis Ende Juni, in der die jungen Mulle
noch unselbständig und ans Nest gebunden sind, ist gerade diejenige, in der der
Landmann sein Land am wenigsten betritt. Das Pflugland ist dann im allgemeinen
bestellt oder, soweit es für späteren Kohl- oder Rübenbau dienen soll, meist mit
Seradella oder anderer Gründüngung bzw. "halb Futter-, halb Düngerpflanze"
bestellt, wenn es nicht als Brache liegen blieb. Auf jeden Fall wird
normalerweise nicht dort mit dem Pflug gearbeitet, wo durch das Pflügen
Mutterbaue freigelegt werden könnten. Bei uns zu Lande beginnt der erste
Grasschnitt zum Heuen selten vor Johanni, 24. Juni; vorher wird
zur Schonung des Grases das Heuland nicht betreten. Also auch die im Grasland
angelegten Mutterbaue haben im allgemeinen bis Ende Juni Ruhe. In den Büchern
wird meistens behauptet, daß die Mutterbaue an besonders schwer zugänglichen
Stellen aufgeworfen würden: unter Hecken, Baumstubben, Mauern, Wällen usw. Es
soll nicht bestritten werden, daß an solchen Stellen Mutterbaue gefunden werden
könnten. Doch hat das schwerlich etwas mit "höherer Überlegung" zu tun. Zunächst
ist das Aufwerfen überhaupt schwierig, wenn es gegen derart kompakte Widerstände
wie Stubben, Mauern, Wälle geschieht. Ich bin vielmehr geneigt, diese scheinbar
recht vorteilhaft und geschützt liegenden Baue als Zufallstreffer zu bewerten,
ganz abgesehen davon, daß ihre Deutung als Wochenstuben schwerlich durch eigene
Untersuchung des jeweiligen Berichterstatters befestigt wird. Wären all diese an
den vorgenannten Stellen angeblich gefundenen Bauten wirklich einwandfrei
Mutterbaue gewesen, dann stünde es schon längst erheblich besser um unsere
Kenntnis von Entwicklung und Leben des Maulwurfs. Oft findet man auch mitten auf
Feld-, Park- und Gartenwegen derart große Haufen, die sicher als Wochenstuben
"gedacht" waren, aber verlassen bzw. nicht in Benutzung genommen wurden, als
ihre Lage sich als unsicher erwies. Da das Muttertier die Wochenstube schon etwa
einen Monat vor dem Werfen einrichtet, bleibt ihm genügend Zeit für solche
"Experimente".
Wenn man die Literatur auf biologische Einzelheiten über den Maulwurf
durchsieht, könnte man glauben, daß der Lebenszyklus bis zu den geringsten
Einzelheiten klar läge. Man kann nur immer wiederholen, daß wir trotz allem fast
nichts darüber wissen. Viele Autoren lassen ihrer Phantasie dabei recht freien
Lauf; die tobt sich namentlich in Schilderungen innigen Familienlebens kräftig
aus. Gegen die vielgerühmte Zärtlichkeit und Besorgtheit der Eltern für die
Jungen spricht, daß noch nie ein Wurf zusammen mit einem erwachsenen Tier
eingebracht wurde, wie das bei Raubtieren und Nagern oft genug der Fall ist. Es
ist schließlich auch kein Wunder, daß die Maulwurfmutter sich in sichere
Verborgenheit zurückzieht, wenn ihr Nest freigelegt wird. Sie würde gar nicht
imstande sein, ein oder gar mehrere Junge, die ebenso groß sind wie sie selbst,
"im Maule in ein nahes Loch oder in einen Moos-, Mist- oder Laubhaufen" zu
schleppen und "sie vorläufig so eilig wie möglich zu verbergen".
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Die jungen Mulle versuchen sich spätestens zu der
Zeit, in der die Zähne durchbrechen, im Wühlen. Jedenfalls fällt
der Zahndurchbruch zusammen mit den ersten Beobachtungen über
erdige Nägel. Die ersten Grabversuche sollen noch recht
ungeschickt sein und oberflächlich und unordentlich dicht unter
der Oberfläche hinziehen. Ob diese oberflächlichen Gänge
wirklich von jungen Mullen gegraben werden, läßt sich wohl nur
dadurch feststellen, daß man diese auf frischer Tat ertappt und
fängt. Ich selbst habe die im Herbst nicht seltenen flachen
Gänge, die auch zu anderer Zeit nie gänzlich fehlen, immer auf
die Schermaus bezogen, habe auch in unmittelbarer Nähe von
großen Maulwurfshaufen solche Gänge neu entstehen sehen und
dabei die Schermaus als Täter festgestellt. Wenn ich auch nicht
bestreiten will, daß die Gänge junger Mulle ähnlich aussehen und
verlaufen könnten, weiß ich sie doch bisher nicht zu
unterscheiden.
Wie so viele einheimische Tiere, gibt uns also auch der so
bekannte Maulwurf noch eine so große Anzahl von Rätseln auf, daß
wir die Landwirte, Gärtner und Kleingärtner bitten, bei deren
Lösung mitzuhelfen. Die Museen sind dankbar für Material.
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ANMERKUNG: Mitteilungen von Beobachtungen sowie
etwaige Jungtiere erbittet der Schriftleiter.
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