Die Landschaft um Lauenburg.
Wer zum erstenmal unsere Landschaft aufsucht,
erhält den stärksten Eindruck, wenn er von Süden her einreist.
Nähert er sich aus dem bergbewehrten Lünegebiet auf einer der
uralten Straßen dem Elbstrom, so steigt vor ihm über der Ebene
eine mächtige Waldeswand auf. Es ist das nördliche Elbgestade,
das sich von Geesthacht bis Lauenburg
unmittelbar über dem Stromlauf erhebt. Ob nun der Wanderer die
Deichhöhe bei Artlenburg gewinnt oder ob er bei Hohnstorf das
reiche Stadtbild von Lauenburg wahrnimmt, es bleibt
gleicherweise eindrucksvoll. Verläßt er bei Artlenburg die alte
Salzstraßc und wandert er ostwärts auf dem Deiche entlang, so
sieht er drüben am Steilabhang grüne Laubflächen mit
schluchtartigen Wasserrissen und hellen Sandstürzen wechseln.
Von diesem Prallhang wird dem Strom der Weg gewiesen, kein
Fußpfad bleibt am Ufer frei. Der Deich aber ist die
Schicksalslinie in diesem Erdraum. "Kein Deich ohne Land, kein
Land ohne Deich!" das ist hier das eiserne Gesetz des Lebens. Es
hat die Menschen unter starker Führung zu harter Gemeinschaft
zusammengeführt, die oft schwer und eigensinnig unter- und
widereinander erstritten wurde. Im Schutz der von ihnen gebauten
Deiche und Dämme
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Findorff. Lauenburgs Elbufer um 1760.
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haben die Siedler ihre Wettern und Wege, ihre Wiesen und Weiden,
ihre Felder und Fluren geschaffen und gesichert. Noch verraten Moore und
Sumpfstreifen, unzugängliche Röhrichte, vertorfte Senken und Altwasser den
Zustand vor der Umwandlung zum Neubruchland durch Spaten und Pflug.
Wieder und wieder in allen Jahrhunderten hat sich der Strom gegen die Fesseln
der Deiche gewehrt. Schwere Nachrichten in endloser Zahl künden davon. Jede
Windung des Dammes umgeht ein Brackloch. Das ist ein solcher Schicksalsort, wo
Hochwasser und Eisgang das Werk des Menschen verstrudelten, sein Fruchtland
übersandeten, seinen Besitz vernichteten, sein Leben gefährdeten. Aber die
grünenden Felder, die Pferde- und Rinderherden zeugen dem Blick von dem Siege
des Menschen über die Kräfte der Natur 1).
Es ist nur eine kurze Wanderung, dann entwickelt sich drüben am Hang das schöne
Stadtbild. Unten am Strom die Elbstraße. Auf vielfach gestufte und gewinkelte
Ufermauern gestützt, eng an den Berg gelehnt, läßt die Häuserzeile in ihrer
schönen Schweifung ein wandlungsvolles Straßeninnenbild ahnen. Oben die aus den
Landgemeinden zusammengcwachsene Oberstadt mit dem Schloßbau und dem alten
Rundturm, der einst mit doppelter Höhe das Ganze krönte. Unten der freien Bürger
Stadt, die als Fischersiedlung und Schifferstätte, als Fährort und Zollgrenze,
als Umschlagshafen und Schiffswerft, als Gewerbe- und Fabrikstadt immer weiter
nach Osten hinauswuchs. Oben die Ackerbürger und Nachkommen jener Bauern, die
ehemaliges Kulturfeiv, wie das alte Bolkmarsfeld, neu auf deutsche Art
bestellten öder den Wald auf dem schwereren Boden erst rodeten und die Kämpe
schufen, unter allen vielleicht den Olden Kamp und den Albrechtshofskamp zuerst.
Als Holden und treue Untertanen gingen sie mit ihrem Gut oder mit ihren
gemessenen Diensten in dem Burglehen auf, das die wirtschaftliche Grundlage des
herzoglichen Hofes bildete. Die Burg mußte erhalten bleiben. Sic war der Quell
der Gerechtsame, deren die Stadt sich erfreute: sie hatte den Siedlern oben das
Land, unten die Wiesen, drüben die Deichkabel zugemessen,' sie schützte die
Bürger bei ihren Freiheiten und die Bauern bei ihrem Erbe. Sie bewahrte den
Landfrieden: aller 'Schutz und Schirm' durch sie, darum 'Rat und alle Hilfe' für
sie in der Not auch ungemessen.
Stand der Herzog von Niedersachsen-Lanenburg auf seinem Schloßturm, so schweifte
sein Blick hinüber bis zu den Lüneburger und Mecklenburger Höhen. Wie in einer
weiten Fruchtschale lag das Land vor ihm. Hinter sich wußte er das Land mit
seiner treuen, genügsamen Bevölkerung: unter sich sah er den Elbstrom, auf dem
die Prähme und Schiffe und Eichen dahinglitten, alles unter Lauenburgischem
Recht, zum Nutzen besonders seiner Stadt. Durchwanderten seine Augen die Marsch
drüben, die seine Vorväter mit geschaffen hatten, so konnten seine Augen fast
die Höfe zählen, deren jeder ihm einen Reuter mit Rüstung stellen mußte zu des
Landes Aufgebot.
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1) Anschauliche Darstellung der unzähligen Deichbrüche bei Reinstorf,
(Elb-Marschkultur zwischen Bleckede und Winsen. 1929. Selbstverlag.
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Da konnte ihm wohl das Gemüt bewegt werden:
"Gott bewahre Damm un Dyken,
Syl un Bollwark un derglichen!" |
Viel gewaltiger mußte die ganze Landschaft erscheinen, als der
Mensch sie noch nicht zur Kulturlandschaft gewandelt hatte, vor einem
Jahrtausend etwa. Ungebändigt strömten die Wasser dahin. Bald füllten sie die
weite Talung wie ein See, bald zogen sie in vielen Armen zwischen den Sanden und
Werdern dahin. Moor und Sumpf,
Röhricht und Weidendickicht. Auenwälder und Eichenhaine gaben ungezähltem Getier
Aufenthalt und Nahrung. Schaffend und zerstörend bauten die Fluten diese
Landschaft dauernd um. Die Menschen auf den Höhen, wo Eichen- und Buchenwald,
Dünensand und Heide wechselten, gingen als Jäger und Fischer in der Elbwildnis
ihrer Beute nach, den Vögeln, den Fischen, den Bibern. Und die Talsandhöhen
waren die ersten Wohnplätze seßhafter Bauern, die längst vor der Eindeichung
sich dort im Schlicksand eine Flur schufen. Von einer höhe zur andern führte der
Weg, bis man auf Eichen den Übergang über den Strom machen konnte.
Als dann der Weg von den Lüneburger Höhen her von einer Sandinsel zur andern,
durch Marsch und Bruch zum letzten Söller, dann über den Strom und wieder die
Höhe hinauf zur großen Straße wurde, da blieb der Abergang durch dies
amphibische Land noch immer ein Erlebnis. Schaute der Reisende von der Elbhöhe
zurück auf seinen Weg, so mochte er noch einmal den prickelnden Reiz aller
Gefahr verspüren. Was Wunder, wenn sich ihm das Bild dieser Landschaft emprägte.
Er war im 'Lewen' gewesen.
Lewenlandschaften.
Die Züge dieser Landschaftsform wiederholen sich elbabwärts. Bei
Harburg, gegenüber der Hamme, dem heutigen Hamburg, engen die höhen das
Urstromtal abermals ein und ermöglichen den Übergang über die vielen Elbarme und
Werder. Vor den Geesthöhen der Süderelbe entstand als 'Sumpfburg' Harburg, so
deutet es der Name, östlich davon lag am Elbarm der Lcwenwärder, der 1296 von
Kolonisten angebaul wurde. Auf der Westseite der Stadt lag der Lewenbrock. Zu
ihm gehörte der Lcuenwohld. Das Gebiet trägt später den Namen Neuland, worunter
kultiviertes Ncubruchland zu verstehen ist. Wir erkennen die Landschaft in ihren
Grundbestandteilen wieder: Höhe, Wald. Werder, Bruch und Strom. Aber auch
jenseits auf dem heutigen Hamburger Gebiet stellte sich die Landschaft ähnlich
dar. Schon im 11. Jahrhundert lag das Lewenbergertor am Ende des Hüxter, und
1324 wird die heutige Lembckentwiete, der Weg längs des alten Stadtgrabens,
genannt 'Beim Lewenbergertor' apud portam Lewenberges juxta murum. Es gab also
einen Lewenberg. Und wenn der Weg am alten Stadtgraben jetzt noch die
Lembckentwiete heißt, so ist hinter dieser Kürzung eine Lewenbeke, eine Lembekc,
eine Lehmke zu vermuten nach der Art, wie die Namen auf -beke im Lüneburgi-
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schen verkürzt werden, auf -bke 2). Wir haben dieselben
Grundelemente wie in unserer Elblandschaft bei Lauenburg: Berg, Wald, Bruch,
Werder, Wasser. Sie werden in ihrem Verhältnis zueinander gekennzeichnet durch
das Bestimmungswort 'lewen'.
Noch einmal bietet sich ein Übergang über die Elbe dar, nämlich der sehr alte
von Stade nach Itzehoe an der Stör. Vom Norden führte der 'Ochsenweg', vom Osten
die 'Vehtrade' als Viehweg auf diesen Störpaß zu. Und die alte 'Zoltstraße' in
Itzehoe mit den Lagern Lüneburger Salzes berichtete im 14. Jahrhundert von dem
Durchgangsverkehr, ehe der Stccknitzkanal nach 1400 den Wettbewerb Lauenburgs
heraufführte. Die waldigen Höhen der Stadt bilden mit der Störniederung
ebenfalls eine Lewenlandschaft. Von der wüsten Marsch (Wüstemers) kam man 1303
durch den Graben hinauf nach dem alten Leghenkamp oder Leuenkamp. der noch in
der Karte von
1848 als Leuenkamp eingetragen ist. Auch ein Lemwolde gab es
1369 im Itzehoer
Felde, wohl die heutige Flur Lchmwold 3).
Weiter nach der Elbmündung zu gibt es keinen Lewen mehr. Das alte Elb- und
Seegestade mit der davorliegenden Vormarsch und Marsch wird dort Kläf und Donn
und Marsch genannt.
Ein Beispiel aus dem Innern Lauenburgs 4) mag uns noch einmal die
Landschaftsform verdeutlichen. Unweit Mölln befindet sich das Dorf Lehmrade. Als
noch das Inlandeis die ganze Gegend überlagerte, halte ein Gletschertor den
Eisrand vom Süden her bis in die Gegend nördlich Mölln eingekcrbt. Vor diesem
Tor spülten die Eiswasser einen mächtigen Sander auf, südwärts zwischen den
gewaltigen Eismauern. Als das Eis sich zurückzog, blieb der hohe
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2) Die Angaben geschehen nach der Histor. Topographie der Freien Hansestadt
Hamburg von Gaedechens. Homburg 1880. Mit Karte z. Jahre 1320. Die dort gegebene
Ableitung von Personen erscheint fraglich, im Hinblick auch auf die Löwentwiete
dort aus löwenstad, lewenstade.
Dohm, Holstein. Ortsname». Zschr. f. Schl.-Holst. Gesch., Bd. 38, S.
168/189.
Das Lüneburger Heimatbuch, Bremen 19272, bringt unter dem Artikel von Brückmann
über Orts- und Flurnamen: 'Leuenwerder (- Neuland), LEWE Löwe als Wappentier.'
'Lauenbrok bei Harburg (Lewenbroke, Louwenbroke, zu LOUWE Löwe).' 'Leuenwohld,
Lowenwohld, später Neuland, vom Wappentier Löwe?'
Für die Kürzung beke -bke bringt dasselbe Buch S. 105 f. das
Beispiel 'Lehmke,
Lembeke, Lenbcke, Lchmbach'. Der Deutung schließen wir uns nicht ohne weiteres
an.
Hierunter wäre auch unser Levensau bei Kiel zu erörtern. Der Bach ist im
Kanalbett untergegangen. Der Name hatte die Form 'leuoldesowc (AQUA) 1225, lewedesouwe
1374'. Dohm (a. a. O. S . 162).
Landtage wurden dahin berufen, up der Levensouwe 1483, thor Lewess Owe
1496, uff der Liebengesow 1509, Levenssowe
1530. Vgl. Quellensammlg. d.
Schl.-Holst.-Lauenbg. Gesellschaft Bd. II, Kiel 1863, S.
37 ff.
3) Vgl. 1) Reimer Hansen, Geschichte der Stadt Itzehoe. Itzehoe
1910. S. 26, 27,
205, auch 36.
2) Heimatbuch des Kreises Steinburg, S. 448.
Die unter den Flurnamen öfters begegnende Form 'Lewenwohld u. ä.' spricht
dagegen, daß man das Bestimmungswort Lewen als Wald deuten könne.
4) Die hierher gehörigen Flurnamen des Kreises sollen an anderer
Stelle erörtert werden. Dahin rechne ich z. B, den 'leghenbrok' (1290) bei Wentorf A. H. und den
'lewigen Berg' oder 'Lehmberg' und die Flur 'Lehmrade' in der Flur
Möhnsen-Sachsenwald.
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Sander liegen. Dort also, wo die Eismassen im Osten neben dem
Sander und höher als er aufgeragt hatten, war nun das Land entblößt vom Eis und
niedriger als der Sander. Moore und Brüche blieben dort. Das ist die Gegend von
Lehmrade. Weit und breit kein Lehm, sondern neben dem sandigen Land Moor und
urbar gemachte Niederung mit einem Moorbach und einem See darinnen. Zur Flur
gehört die naturschöne Dreiseenrinne: Krebssee, Schwarzer See, Lottsee in den
Lehmrader Tannen, ebenso die Fischerei Drüsen am Drüsensee im hohen Sander. Als
die Siedler den Bruchwald rodeten, haben sie das Dorf Lewenradc genannt. Es ist
unser Lehmrade.
Wir können die von uns betrachtete Landschaftsform eine
LEWENLANDSCHAFT nennen. Darunter ist zu verstehen eine durch einen Wasserlauf
geschaffene oder wasserdurchflossene, von waldigen Höhen begleitete Niederung
mit Brüchen und Sümpfen, mit Wiesen und Werdern. Diese Landschaftsform muß im
besonderen Urstromtälern eignen, wie dem Elbtal, oder Tälern, die, wie die Stör-
und Delvenauniederung. früher durch größere Wasscrläufe gestaltet sind, als
heute auf ihrem Grunde dahinfließen. Selbstverständlich sind in einer so
organisch gewachsenen Landschaft nicht immer alle Teile wie in einer
mathematischen Form zusammen: manche Flur ist von der Kulturlandschaft
umgestaltet, mancher Flurname ist auch nicht mehr vorhanden. Es ist das
Formgefühl des mit der Natur verbundenen Menschen, der auch in den einzelnen
Zügen die zugrundeliegende Gestatt erkennt und sie danach benennt.
Nun zur Stadt Lauenburg! Ihre Umgebung ist auch eine Lewenlandschafl. Die
waldtragenden Höhen wurden vermutlich 'Lewenberg' genannt. Oberhalb des 'Lewen'
auf dem Lcwenberg wurde die Lewenburg gebaut. In ihrem Schutz erwuchs als
Lewenstadt das heutige Lauenburg. Jenseits des heutigen Kanals, diesseits der
Elbe liegt die 'Au' oder 'Ooch', wie die Landbewohner sie nennen, eine Wiese im
Winkel der Elbe und Dclvenau. Sie war um 1750 noch zum Teil mit alten Eichen
bestanden und gehörte zum Burglehen. Sie hieß vielleicht die Lewenberger Au:
denn in einer Urkunde von 1227 5) wird sic die 'Lauenburger Wiese am Elbufer'
genannt. Möglich, daß sie nur so hieß, weil sie zum Burglehen gehörte, für
dessen Landwirtschaft sie notwendig war. doch aber möglich, daß es schon ein
älterer Name war. Leider hat man keine bestimmtere niederdeutsche Bezeichnung
dieser Flur mehr. Daß bei Lauenburg nicht mehr Namen aus der NIEDERUNG erhalten
geblieben sind, lag zum Teil daran, daß nach der Eindeichung die menschliche
Kulturarbeit alles veränderte und manche Flur mit ihrem naturhaften Zustand auch
den Namen verlor, der ihrer Eigenart bis dahin entsprochen hatte. So gab es
1288
noch auf dem anderen Elbufer bei Echem eine 'Lemlake', einen Lewensee.
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5) Die Urkunde, bei der Albrecht I. beteiligt war, wurde ausgestellt
1227 IN PRATO LOUENBORH IN RIPA ALBIE, auf der Lauenburger Wiese am Elbufer. (Zitiert
bei Lammert, Lauenb. Landesgesch., S. 218. Es handelt sich um die Verleihung der
Erbgüter des Domherrn Friedrich zu Hildesheim iu der VILLA LENBEKE an das
Kloster zu Ebstorf. Das Dorf Lenbeke ist das heutige Lehmke A. Bodenteich, das
eben oben erwähnt wurde. Vgl. Anm. 2.
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Das war der Rest eines Altwassers, und das mag uns noch einmal
daran erinnern, daß wir überhaupt nicht wissen, wie die Niederung vor einem
Jahrtausend gestaltet war, wo die Hauptströmung lief und wie es diesseits am Fuß
des Lewenberges aussah. Auf der HÖHE ging der Name Lewenborg in dem der Burg und
der Stadt unter. Der Wald wurde gerodet. Der Olde Kamp, der Elbkamp, der
Fruenkamp entstanden. Damit ist bereits die Flur von Schnakenbek erreicht. Das
'Löömborger Feel' allein in der Krüzener Feldmark trägt wohl noch in seinem
Namen eine gute Erinnerung an den Lewenborg. Wie anders konnten die Bauern
dieses Dorfes, das schon zum Kirchspiel Lütau gehörte, als Lauenburg noch
garnicht bestand, dazu kommen, ihr altes Feld so zu benennen!
Mit dieser Erörterung kommen wir nun zur Deutung des Namens selbst.
(Schluß folgt.)
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