Gibt es überhaupt ein lauenburgisches Bauernhaus?
Im strengen Sinne allerdings: Nein! Das Herzogtum Lauenburg hat
keine Art des Wohnbaues aufzuweisen, die ihm allein eigentümlich
wäre. Denn das Einheitshaus, das gleichzeitig Menschen, Vieh und
Ernte unter seinem mächtigen Dache gegen die Unbilden des
norddeutschen Klimas schützt, mit der hohen Mittellängsdiele, die
ganz oder doch größtenteils die Länge des Hauses durchzieht - das
hat Lauenburg mit allen umliegenden Gebieten gemein. Geht man über
die Grenzen des Kreises hinaus: nach Hamburg zu oder über Lübeck
hinaus in Holstein hinein, über die Elbe ins Lüneburgische oder bis
über Schwerin ostwärts ins Mecklenburger Land - überall wird man
dasselbe Einheitshaus mit dem hohen Dach und der Mittellängsdiele
finden. Es ist das niedersächsische Bauernhaus, das nach Westen bis
an die Zuydersee in den Niederlanden und nach Osten in einem
freilich immer schmäler zulaufenden Streifen bis nach Kolberg in
Hinterpommern vorherrscht.
Seine wichtigsten Kennzeichen erwähnte ich schon: sie beruhen auf
der besonderen Raumverteilung, die man als Dreischiffigkeit
bezeichnen kann (Abb.
1). Der längelang durch das Haus
durchlaufende hohe Dielenraum - hoch genug für ein vollgeladenes
Fuder - als "Hauptschiff" wird rechts und links begleitet von je
einem sehr viel niedrigeren "Seitenschiff", der "Afsid", die in
Büchern nach einem Worte der Osnabrücker Gegend meistenteils als
"Kübbung" bezeichnet wird. Das Ganze ist der Raumverteilung unserer
großen mittelalterlichen Kirchen, wie in Lübeck oder Ratzeburg, so
ähnlich, daß man sogar auf den Gedanken verfallen ist, die
niedersächsischen Bauern hätten ihren Wohnbau bewußt der
christlichen Kirche nachgebildet. Das ist nun freilich nicht gut
möglich, schon deshalb nicht, weil die Dorfkirchen gar nicht
dreischiffig zu sein pflegen.
Am besten lernen wir das niedersächsische Bauernhaus, zu dessen
Herrschaftsgebiet somit das Herzogtum Lauenburg gehört, kennen, wenn
wir es aus seinen einzelnen Bauteilen entstehen sehen. **) Da fangen
wir an mit den großen eichenen Ständern, die rechts und links in
langer Reihe die Diele begleiten. "Dei Stenners, dat is de Anfang
van dat Hus." Auf ihnen ruht die Hauptlast des Daches. Darum heißen
sie auch "Höftstenners". Je ein Paar dieser "Höftstenners" ist oben
quer über die Diele hinweg miteinander durch "Balken"
_______________
*) Schluß der Aufsätze in der Januar- und April-Nummer der
"Lauenburgischen Heimat." Die Schriftleitung.
**) Unter denjenigen, die mich bei der Bereisung des Kreises im
Herbst 1926 bereitwilligst durch wertvolle Auskünfte
unterstützten, danke ich an dieser Stelle vor allen den Herren
Altenteiler Klein zu Kollow, Zimmermann Groth zu Roseburg und
Zimmermann Mirow zu Sterley, früher Kl. Zecher.
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zu einer Art Brückenjoch oder Galgen verbunden.
Der Abstand von einem Ständerpaar bis zum nächsten heißt "Fack" und mag nach
altem Brauch ungefähr zwölf Fuß betragen haben, so daß ein richtiges "Buernhus"
aus dem Süden des Kreises, das seine "acht Fack, und darunter zwei von 13
und 14 Fuß, aufzuweisen hatte, an 100 Fuß lang war.
Der Plan des Halbhufnerhauses Perthun-Dalldorf von 1806 (Abb. 5)
gibt der Stellengröße entsprechend etwas weniger, 76 Fuß Länge bei
40 Fuß Breite an. Die Balken sind eichen, in jüngerer Zeit und im
Süden wohl überhaupt meist "Dannen Holt". In der Längsrichtung stehen die
"Höftstenners" im Verband durch die "Plat", auch "Höftplat" genannt. Im
allgemeinen wurde der Verband zwischen "Höftstenners", "Balken" und "Höftplat"
in der Weise hergestellt, daß die "Höftstenners" mit ihren Köpfen in die
"Höftplat" "intappt" und dann die Balken "up de Höftplat upkämmt" waren, d. h.
mit ihrer Unterseite in Vertiefungen der Oberseite der "Höftplat" eingelassen
waren, ihrerseits aber wiederum mittels einer Vertiefung an ihrer Unterseite ein
Widerlager an einem stehen gebliebenen Kamm in der Vertiefung auf der "Höftplat"
fanden. So stellte mir vor allem der 80jährige Herr Vagt, Zimmermann in
Kasseburg, die Sache klar. Dann wird dieses Grundgerüst durch "Koppbänn"
versteift. Auf den Enden der Balken stehen paarweise die "Sporen". Jedes "Spann
Sporen" ist in großer Höhe wieder verbunden und versteift durch einen
wagerechten Balken. "De Bur seggt: Hahnbalken, de Timmermann awerst seggt:
Kehlbalken." Um dieses Hauptgerüst herum ist inzwischen auch das hölzerne
Gerippe der vier Außenwände fertig geworden: "De Ring, de steiht." "Lägen",
"Stenners", "Riegel" nud "Plat" bilden den "Ring". Zuerst sind "de Lägen
streckt". Sie liegen wagerecht auf dem Feldsteinfundament. Oben schließt die
"Plat" oder "Murplat" wagerecht die Wandhöhe ab. Zwischen "Lägen" und "Plat" in
der Mitte sind ebenso wagerecht die Riegel eingefügt. "Stenners" und "Riegel"
sind "intappt". Zur Versteifuug der Außenwand dienen die schrägen "Stormbänn",
"in jeder Sied twei, in en langes Gebu vier, un in jeden Gewel twei." Der Aufriß
von 1806 (Abb. 5) zeigt die vier "Stormbänn" der Seitenwand
deutlich. In den Vordergiebeln pflegen die "Stormbänn" zu jenen eigentümlichen
Figuren geordnet zu sein, wie sie etwa die Abbildungen aus Krüzen (Abb. 9),
Sandesneben (Abb. 6 und
8) und Gr. Grönau (Abb.
3 und 4) zeigen und gerade für das lauenburgische
Bauernhaus so überaus bezeichnend sind. Wenn man freilich in diesen
Balkenfügungen, bei denen wohl der "ganze Mann" (Haus Stamers-Sandesneben,
Abb.
6 u. a.) vom "halben Mann" (Pfarrhaus Sandesneben,
Abb. 8)
unterschieden wird, germanische Runenzeichen oder sonst geheimnisvolle Zeichen
hat erblicken wollen, so ist dies ein Spiel müßiger Phantasie, da wir garnichts
davon wissen, daß bei den Zimmerleuten unserer Dörfer Kenntnis und Gebrauch
germanischer Runen sich in so späte Zeiten fortgeerbt hätten. Außerdem: die
technische Notwendigkeit der "Stormbänn" mid das in fester Tradition verwurzelte
Schönheitsempfinden des alten Dorfhandwerkers genügen vollauf zur Erklärung
dieser An-
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ordnung, die allerdings das Auge erfreut, weil
sie das rechteckige Schema von "Riegel" und "Stenner" von der Langeweile des
rein Schematischen erlöst.
"Ring" und Hauptgerüst des Hauses werden nun fest miteinander verbunden durch
den wagerechten "Intog", der am "Höftstenner" rechtwinklig mit dem in gleicher
Hohe die "Höftstenners" in der Längsrichtung des Hauses miteinander
verbindenden, gleichfalls wagerechten "Höftriegel" zusammenstößt. "Intog" und
"Höftriegel" liegen also ebenso wie die "Plat" der Außenwand in Höhe der "Hill",
des Bodens über den Kübbungen. Von besonderem Interesse aber ist die Art, wie
für das Dach über den Afsiden die nötigen Unterlagen geschaffen werden. Das ganz
alte Verfahren zeigt Abb. 1. Das Haus Engelbrecht in Gr. Grönau gehört ja nicht
bloß zu den besterhaltenen, schönsten und stattlichsten Bauernhäusern des
Herzogtums Lauenburg, sondern auch zu den ältesten. "Hinrich Engelbrecht, Anno
1716" steht am Giebel dieses geradezu prachtvollen Hauses, von dem
ich eben deshalb auch nicht weniger als vier Zeichnungen und Abbildungen bringe.
Ganz nach alter Bausitte sind die unteren Sparrenenden auf die Enden der
Dielenbalken aufgesetzt, die ihrerseits nicht mit dem äußersten Ende auf den
"Höftstenners" aufliegen, sondern ein Stück über die Ständerreihen hinaus
vorragen, so daß der Hebeldruck der auf den Sparren lastenden Dachmasse die
mächtige Spannung der Balken über der Dielenbreite möglichst aufhebt und ein
Durchbiegen der Balken über der Diele verhindert. Übrigens zeigt schon solche
technische Nebensache, wie wenig diejenigen im Rechte sind, die das Sachsenhaus
für "primitiv" erklären. In Wirklichkeit ist das niedersächsische Bauernhaus
nichts weniger als primitiv, sondern eine bereits fein durchdachte und wohl
abgewogene Lösung des Problems, Menschen, Vieh und Ernte mit dem geringsten
Aufwand an Baustoffen vor Wind und Wetter zu schützen.
Doch zurück zum alten System der Sparren. Auf die Hauptsparren aufgeschoben sind
Nebensparren, "Afsidsporen" oder "lütt Sporen", auch "Stallsporen" genannt, die
unten auf dem "Ring" fest sind und nur die "Afsiden" zu überbrücken haben. Hier
haben wir übrigens den vollgültigen technischen Beweis für die späte Entstehung
der Kübbungen, die erst nachträgliche Erungenschaften [sic!] des
niedersächsischen Hauses sind, als man das Bedürfnis empfand, dem Vieh
wenigstens für die Nacht und den Winter ein Dach über dem Kopfe zu errichten. Es
ist auch eine ganz ansprechende Vermutung, daß die "Afsiden" aus bloß
behelfsmäßig "angeklappten" Notdächern entstanden seien, die man über den Köpfen
und Rücken des für die Nacht an die Außenwand des Hauses - die damals also
noch durch die Reihen der "Höftstenners" dargestellt wurde - angebundenen Viehes
errichtet hatte. Auf die Entstehung des niedersächsischen Hauses komme ich unten
noch zurück. Es ist nun bezeichnend, daß die von mir befragten Zimmerleute diese
Art des Aufschiebens der "Afsidsporen" auf die Hauptsparren in deren halber oder
Drittelhöhe, wie das Haus Engelbrecht dies noch zeigt, nicht mehr kennen
wollten. Die 70jährigen Meister kannten nur noch Sparren, die entweder ganz in
einem Stück
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durchgehen oder bei denen die "Afsidsporen" an
das untere Ende, also in Höhe der Balkenlage angestückt sind, wie letzteres etwa
der deutlich sichtbare Knick im Dache des Pfarrhauses zu Sandesneben (Abb.
8) zu verraten scheint. Dieselben drei Arten der Sparrenkonstruktion
stehen auch in den übrigen Gebieten des niedersächsischen Bauernhauses neben
einander, und daß die Bauweise mit ganz durchlaufenden Sparren tatsächlich die
jüngere sein muß, wird mir bestätigt durch die Freundlichkeit des Herrn Geheimen
Oberbaurats Vries in Schwerin, der mir für Mecklenburg mitteilt, daß die älteren
Bauweisen mit Haupt- und Abseitensparren in den 1850er Jahren
durch die damalige Großherzogliche Kammer zu Schwerin verboten worden sei eben
wegen des dabei entstehenden Dachknicks. Und damals baute die Großherzogliche
Kammer auch noch ihre Bauernhäuser selber.
Wir wenden uns zur Herstellung des Daches. Auf den Sparren sind die Latten
befestigt, in neuerer Zeit "mit Smänagels nagelt", früher "mit widen Wäden
fastwrödelt". Die "Wäden" konnten statt von "Wiecheln" auch von Birken oder
Eichen genommen werden. Auf den Latten wird das Strohdach mit dem eingelegten
"Dackschächt" in ähnlicher Weise befestigt. Als Dach dient nach alter Sitte
Roggenstroh, im Notfall Weizenstroh. Herr Klein in Kollow schilderte mir höchst
anschaulich, wie in alter Zeit aus den Vierlanden, die damals noch eine
kornbauende Marsch - nicht der Gemüsegarten von Hamburg, wie heutzutage - waren, das nötige zum Dachdecken geeignete Langstroh (Schoos, Dackstroh) nach
Gewicht angekauft und angefahren wurde. Die Verwendung von Reth sei modern. Im
Osten des Kreises hat neben dem Weizenstroh das Reth des Schaalsees eine Rolle
gespielt. "De Kapp" (der First) wurde oft "mit Heid tomakt, wegen den Adebar, de
sick girn wat rut treckt" (Kollow). Die mächtige Dachfläche, die natürlich in
unserem windigen norddeutschen Flachlande gewaltigem Wind-, auch Schneedruck zu
widerstehen hat, wird noch versteift durch die an der Binnenseite des Daches
schräg von unten nach oben verlaufenden "Swepen" oder "Stormswepen"; dazu kommen
noch "Stormsporen", etwa "drei Stück in en Buernhus von good hunnert Foot"
(Klein-Kollow). Diese "Storm-" oder "Windsporen" stützen das Dach, indem sie,
leicht nach außen geneigt, vom Kopf eines "Höftstenners" in die Höhe bis an die
Innenseite des Daches reichen. Steilgiebel sind im Lauenburgischen auch heute
noch selten. Das Walmdach reicht am Giebel heute auf beiden Enden aber auch
nicht bis auf die Balkenlage hinab, sondern läßt uber der Einfahrtstür - die ja
bis an die Balkenlage hinaufreicht - noch ein Stück Wandfläche frei, wie die
Abbildungen 6 bis 9 usw. zeigen. Aber ob das immer
so war? Im Süden soll nach alter Bausitte am "Veih-Enn地" das Dach bis auf die
Balkenlage hinabgereicht haben, aber nicht am "Stuben-Enn地", damit hier mehr
Bodenraum herauskam. Im ganzen Lande sind noch zahlreiche, namentlich kleinere
Häuser zu finden, bei denen das Dach namentlich am Vordergiebel, dem
"Veih-Enn地", so tief hinabreicht wie an dem Singelmannschen Hause in Hornbek
(Abb. 10), so daß ein Einschnitt in das Dach gemacht
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werden mußte, um die nötige Höhe für die
"Grotdör"herauszubekommen. Dann spricht man von "Vörschuer" oder "Vörbu" oder
"Vörschupp". Der so gewonnene Raum dient meist als Schaf- oder Schweinestall.
Ausdrücklich wurde mir von sachverständiger Seite gesagt, daß "de Vörschuren"
die beiden Räume unter dem tief herabgehenden Dache rechts und links der
Einfahrt seien, nicht etwa - wie anderswo - der Raum vor der
Einfahrt selbst. Im allgemeinen hat früher wohl das Dach vorn und hinten tiefer
herabgereicht als heute - wurde mir doch gelegentlich erzählt, daß erst in
Zeiten, deren Erinnerung noch lebendig ist, der Walm höher hinaufgeschoben
worden sei. Ganz neuerdings erst erscheinen dann Häuser "mit地 sturen Gäwel".
Vom Rande des Daches leckt das Regenwasser hernieder. Um die Außenwand möglichst
zu schützen, läßt man den Rand des Strohdaches ein Stückchen vorragen. Da die
"Afsidsporen" aber unten auf dem "Ring" fest aufsitzen, so wird der untere
Dachrand getragen von besonderen Verlängerungsstücken, die auf den "Afsidsporen"
sitzen. Das sind die "Opschelln" (Mirow-Kl. Zecher) oder "Upschifter"
(Groth-Roseburg). die dem Dach "so地 beten Swung gewen". Am unteren Rande des
Strohdaches findet sich dann noch zur Abhaltung des Tropfenfalls ("Oesel") "dat
Oeselbrett".
Außen- und Zwischenwände wurden ursprünglich in "Klevstaken" ausgeführt.
"Upschächt wand" ist der gewöhnlichste Ausdruck für diese Bauweise. In die
offenen vierecke des Ringes zwischen "Lägen", "Plat", "Stenner" und "Riegel"
werden aufrecht "hasseln", "böken" oder "widen", im Süden auch "dannen Stöck",
"Schächt" hineingestellt. Damit sie oben und unten Halt haben, muß der
Zimmermann in die obere Seite der "Lägen" oder "Riegel" "ne Rill" oder "ne Karr
mit地 Ext inhangen" oder "ne Falz mit地 Deißel maken"; in die untere Seite aber
muß er "Löcher mit地 Querext inhangen", damit die oberen Enden der "Schächt"
darin feststehen. Freilich: "ne Karr (Kerbe) baben geiht ok!"
Zwischen diese aufrechten "Stöck" wird dann in wagerechter Richtung "intühnt mit
Buschholt" oder Strohfeilen. Die so entstandene Flechtwand aber wird "mit弾 Hand
ansmeten, mit弾 Hand glatt makt un denn allens witt"t". Der Stoff aber "zum
"Ansmiten" wird so hergestellt, daß Lehm mit Wasser angemacht, mit Kaff
und Stroh, das mit dem Beil auf einen halben Finger bis eine Handbreit Länge
zurechtgehauen ist, vermengt und durchgeknetet wird. Beim Neubau wurde der
Haufen mit Pferden durchgeritten. Das Holzwerk in den Außenwänden wurde mit
"Ossenbloot" oder grüner Farbe gestrichen.
Wann ist nun diese alte Form der "Schächtwand" durch das Backsteinfachwerk
verdrängt worden? Das älteste datierbare Bauernhaus des Kreises Herzogtum
Lauenburg ist das alte Berlingsche Haus in Siebeneichen. Außer frommen Sprüchen
weist es im Türbalken die Inschrift auf: "Eggerdt Berling Anno 1688
den 16. May". Offenbar war damals schon die Verwendung des
Backsteins wenigstens im Vorder- und Hintergiebel allgemein verbreitet, aber
NICHT in den Traufseitenwänden. Nun war nach dem Eindruck, den ich bei der
Bereisung des Fürstentums Ratze-
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burg erhielt, die wirtschaftliche Lage des
ratzeburgischen Bauern wie seine Baugewohnheit bis auf gewisse noch zu
erwähnende, aber nebensächliche Erscheinungen den entsprechenden Verhältnissen
im Lauenburgischen gleich. Im Fürstentum Ratzeburg aber haben wir das prächtige
ehemalige Schulzenhaus von Bechelgdorf, von dem ich aus bestimmten Gründen
annehmen zu müssen glaube, daß es 1615 erbaut ist. *) An diesem
höchst interessanten Gebäude sind nun auch Vorder - und Hintergiebel noch in
Lehmfachwerk ausgeführt. Wenn ein so gewichtiger und sicher wohlhabender Mann
wie der Schulze von Bechelsdorf, der die bischöflichen und später fürstlichen
Beamten zu bewirten hatte, wenn sie vor seinem Hause dem Landgericht für die
umliegenden Dörfer beiwohnten, noch um 1615 ein neues Haus mit
Klehmstakengiebeln baute - und das in unmittelbarer Nähe von Lübeck, wo sicher
ein Ausstrahlungszentrum der damals "neumodischen" Backsteinverwendung war -,
dann wird auch im Herzogtum Lauenburg damals das Füllmaterial der Fachwerkgiebel
an den Bauernhäusern schwerlich schon Bäckstein gewesen sein. Der Backsteinbau
muß sich hier also im Laufe des 17. Jahrhunderts durchgesetzt
haben.
Diese Betrachtung führt uns zur Frage der Entstehung und Bedeutung der im
Backsteinmauerwerk nicht selten anftretenden Figuren, insbesondere des sog.
Donnerbesens und der Windmühle. Als Beispiel bringe ich nach einer Zeichnung des
Herrn Lehrers Siemers-Linau einen Donnerbesen vom Wohngiebel der Kate des
Halbhufners Carstens zu Linau (Abb. 11). Auch am Prunkgiebel von
Stamer-Sandesneben (Abb. 6) erkennt man mehrere Gebilde derselben
Art, und das Pfarrhaus in Sandesneben zeigt an seinem - übrigens ganz neuem - Giebel Donnerbesen und Mühle nebeneinander. Der Donnerbesen ist auch sonst
nicht selten. Ich erwähne die drei Donnerbesen am Steffensschen Giebel in
Havekost, die nicht wie das Beispiel aus Linau einem Baume, der nach oben spitz
zuläuft, sondern einer mit gespreizten Fingern emporgereckten Hand gleichen.
Ebenso sieht der Donnerbesen am Hintergiebel des Bauernhauses Klühn in Wentorf
A.H. bei Bergedorf aus, während die beiden Donnerbesen rechts und links der
Grotdör bei Peters-Gr. Klinkrade (1767) wieder mehr einem
Tannenbaum ähnlich spitz zulaufen. Ein Donnerbesen aus Hohenhorn ist abgebildet
im Lauenburgischen Haushaltungskalender Jahrg. 1909, S. 59.
In Sahms und Groß-Pampau weist je ein Haus zwei Donnerbesen auf. Bemerkenswert
ist, daß auch der Giebel des ältesten Bauernhauses im Lauenburgischen, des schon
erwähnten Berlingschen Hauses von 1688 in Siebeneichen einen
Donnerbesen zeigt, und zwar in der obersten der beiden Gefachreihen über der
Balkenlage unmittelbar unter dem Walmdach ganz links (Abb. 11a).
Nicht gefunden habe ich im Lauenburgischen eine Abart des
_______________
*) Vgl. die Abbildungen und Ausführungen in den Mitteilungen des
Altertumsvereins für das Fürstentum Ratzeburg I. Jahrg. 1919,
Augustheft und in dem von mir herausgegebenen Heft "Das Bauerndorf im Lande
Ratzeburg" (Quellen der Heimat, herausgegeben vom Heimatbund für das Fürstentum
Ratzeburg), Reihe F Heft 2, Schönberg 1925.
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Donnerbesens, die zum vollentfalteten
halbkreisförmigen Fächer weiter entwickelt ist. Gerade diese Abart ist aber im
Fürstentnm Ratzeburg besonders beliebt und kommt z. B. schon in Kl. Molzahn und
Schlagsresdorf nordöstlich der Stadt Ratzeburg vor. *)
Wirklich lebendige Volksüberlieferung über das Wesen des Donnerbesens, auch eine
wirklich volkstümliche Bezeichnung für das heutzutage seitens der Bewohner
selbst meist wenig beachtete, ja oft kaum bemerkte Gebilde scheint es heute im
Lauenburgischen nicht mehr zu geben. Wir müssen daher auch die Nachbargebiete
zur Deutung heranziehen. Das ist unbedenklich, weil dort dasselbe Volkstum
herrscht wie im Lauenburgischen. Auch der Donnerbesen kommt ja keineswegs allein
in Lauenburg vor. Allerdings im Mecklenburgischen habe ich - vom Fürstentum
Ratzeburg, wo er häufig ist, abgesehen - den Donnerbesen nur einmal an
einem in Fachwerk errichteten älteren Gebäude auf all meinen Wanderfahrten kreuz
und quer durchs ganze Land gefunden. Das war in Lübbendorf bei Lübtheen, wo ich
vier Donnerbesen am Giebel einer Büdnerei sah. An städtischen Häusern sollen in
Hagenow Donnerbesen vorhanden sein. Dieses fast völlige Fehlen des Donnerbesens
in Mecklenburg ist nicht schwer zu erklären. Wer vom Ratzeburgischen oder
Lauenburgischen her die Grenze des Schweriner Landes überschreitet, kann
feststellen, daß sofort die Backsteingiebel an den alten Bauernhäusern aufhören.
Auch auf den Erbpachtgehöften (Vollhufnerstellen) sind die alten Giebel in
Klehmstaken (upschächt Wand) ausgeführt ohne die damals noch luxuriöse
Backsteinverwendung. In Klehmstakenwänden aber lassen sich keine Donnerbesen
anbringen. Damit erhalten wir ein wichtiges Datum: in DIESER Form kann der
Donnerbesen nicht älter sein als die Sitte der Backsteinverwendung, er kann
nicht weit hinter das Jahr 1700 zurückreichen. Damals war er wohl
schon nur noch ein Zierrat ohne tiefere Bedeutung, aber es muß eine Zeit gegeben
haben, wo es solchen tieferen Sinn noch gab, wo der "Gewitterquast", wie man im
Ratzeburgischen sagt, wirklich dem Volksglanben nach als ein wirksamer Schutz
gegen die furchtbarste, unberechenbarste und jäheste Gefahr galt, die den
Landmann und seine Habe unterm Strohdach bedroht, den zündenden Strahl des
Gewitters. Im Mecklenburgischen, wo manche alte Tradition sich besser erhalten
hat als anderswo, gibt es noch eine Sitte, die den Ursprung des Donnerbesens
aufzuklären geeignet erscheint. Es handelt sich um den "Maibusch", jenen in der
Volkskunde wohlbekannten lebenspendenden und lebenbeschützenden Abkömmling der
"Lebensrute", der in ganz Deutschland zu Pfingsten eine so große Rolle spielt.
In Grabow z. B. bleibt dieser Maibusch vielfach von Pfingsten bis zum nächsten
Pfingsten
stecken, und zwar vorzugsweise an Gebäuden, in denen Tiere untergebracht sind,
meist über der Einfahrts- oder Eingangstür, wohl auch seitlich davon. Angebracht
wird der Maibusch meist mit den Zweigen nach oben, dem Stammende nach unten, - wie in der freien Natur.
_______________
*) Abbildungen aus beiden Dörfern in dem oben erwähnten Heft "Das Bauerndorf im
Lande Ratzeburg", Schönberg 1925, S. 10 und 11.
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Aus Parchim erzählte mir ein befreundeter
Kollege, daß sein HausWirt, der ebenso wie seine Frau aus der Goldberger Gegend
stammte, den Maibusch das ganze Jahr in der Stube aufbewahrte, ebenso im Keller
den Weihnachtsbaum als Blitzschutz - und der Volkskundler weiß, daß unser
Tannenbaum zu Weihnachten wiederum ein naher Verwandter der "Lebensrute" ist.
Von einer bekannten Dame erfuhr ich, das; selbst in Rostock eine Frau Professor
Fr., die mit ihr in demselben Hause wohnte, den Maibusch das ganze Jahr über der
Etagentür stecken ließ.
Hier haben wir anscheinend die älteste Form des Donnerbesens vor uns. *)
Vielleicht regen diese Zeilen jemanden, der noch mehr vom alten Volksglauben in
diesen Dingen weiß, dazu an, dem Heimatbund (Herrn Landesarchivar Dr. Gerhard)
sein Wissen darüber mitzuteilen und so das Rätsel des Donnerbesens vollends
lösen zu helfen.
Bei der Mühle als Steinsetzung, wie sie z. B. neben dem Donnerbesen das
Klühnsche Haus in Wentorf bei Bergedorf aufweist, fehlen volkskundliche
Erklärungen und Nachweise dagegen so gut wie völlig. Von einem Gewerbszeichen
ist keine Rede - sonst müßte die Mühle sich nur an Müllerhäusern oder
Bäckerhäusern finden. Wahrscheinlich ist die "in die Schere gestellte" Mühle
nichts weiter als eine nach dem Schwinden des Volksglaubens an die Blitzabwehr
spielerisch ausgeartete Abart des Donnerbesens. Denn die Unterschiede der
Backsteinsetzung sind nicht groß.
Bei den sonstigen Steinsetzungen und Backsteinmustern in Giebelfachwerk, wie
namentlich dem nicht seltenen Zickzackmuster mit diagonal gestellten
Backsteinen, ist von vornherein die Absicht der Schmuckwirkung vorauszusetzen.
Besonders reich entwickelt zeigt dieses Schmuckwerk (zum großen Teil in
glasierten Ziegeln ausgeführt) der Stamer-
_______________
*) Zu einem ähnlichen Ergebnis ist im südlich benachbarten Bezirk jenseits der
Elbe auch Baurat SCHLÖBKE gelangt, der im II. Bande des LÜNEBURGER HEIMATBUCHES
(herausqegeben von O. und Th. Benecke, Bremen 1914) auf S.
91 vom Donnerbesen schreibt: "Wäre er ein Merkzeichen für Müllerei oder
für Bäckerhåuser, wo mit dem Besen das Brot gegasselt wird, so könnte der
Donnerbesen sich unmöglich am Sakristeianbau der Kirche in Blumlage (Celle)
finden, wo umgekehrt doch auch um 1750 nicht mehr an den Donnerer gedacht wurde.
Am siehersten geht man wohl, das Zeichen für den auf Steintechnik übertragenen
und dadurch dauerhaft gemachten Weihebusch anzusehen, der das Haus vor Blitz und
Unglück schützen sollte. Dies wird schon seiner allgemeinen Verbreitung wegen
anzunehmen sein (Konau a. d. Elbe und überall im Bezirk zerstreut)." Konau liegt
schon rechts des Stromes bei Neuhaus. - Über Donnerbesen, Mühlen und dergleichen
im nördlich anschließenden lübischen Landgebiet und den eingestreuten lübischen
Enklaven ist zum Vergleich nachzulesen: Hugo NAHTGENS. "Das Bild der Ortschaften
des Landgebietes" im LÜBECKER HEIMATBUCH (Lübeck 1926, S.
254-290), H. LENZ, "Die altsächsischen Häuser in der
Umgegend Lübecks" (Zeitschrift des Vereins für lüb. Geschichte und
Altertumskunde, Bd. VII 1898, S. 262
ff.), Wilhelm HAASE-LAMPE, "Das Landgebiet des Freistaates Lübeck" in "Von
Lübecks Türmen" (Unterhaltungsblatt des Lübecker General-Anzeigers, 7.
Dezember 1912, 22. Jahrgang, S. 388
ff.). Besonders die beiden letzteren Veröffentlichungen enthalten lehrreiche
Zeichnungen.
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sche Giebel in Sandesneben (Abb. 6), der wohl das
reichste Beispiel eines bäuerlichen Prunkgiebels im Herzogtum darstellt und in
seiner Schmuckfreude ebenso wie durch den im südlichen Teil des Herzogtums
verbreiteten lebhaft wirkenden weißen Anstrich des Fachwerks bereits stark an
das Bauernhaus der Elbmarschen um Hamburg, der Vierlande und des Alten Landes,
erinnert. Das Datum der Hausinschrift lautet: "Den 8. Junius Anno
1803." Trotz der reichen Fülle des Schmuckes wirkt der Giebel
keineswegs überladen. Ein betrübliches Gegenbeispiel zu dieser schönen Leistung
des dörflichen Bauhandwerkers von 1803 ist ein Giebel von
1859 (Abb. 7), der das erschreckende Dahinschwinden des
sicheren Geschmacks im Bauhandwerk des 19. Jahrhunderts unter dem
Einfluß dieser auf dem Gebiete des Stiles so völlig steuerlos gewordenen Epoche
der Massenfabrikation und des Kitsches vor Augen führt. Was konnte allerdings
der Maurermeister schließlich dafür, daß er glaubte, bauliche Schönheit sei
durch äußerliche "Verzierungen" und allerlei Kinkerlitzchen zu erreichen, wenn
auch die berufenen Führer nichts mehr davon wußten und fühlten, daß bauliche
Schönheit organisch aus dem Zusammenklang von Zweckform und Baustoff erwachsen
muß? Noch ist 1859 die Grundform des altsächsischen Hauses mit dem
mächtigen Strohdach so gut wie unerschüttert, aber die mit vollendeter
Sinnlosigkeit "angebackten" und daher den Eindruck völliger Hilflosigkeit
erzeugenden "Zierden" (wie man im Dorfe sagt) über der Balkenlage werfen doch
ein recht trübes Licht auf den bedauerlichen Niedergang handwerklichen Könnens
in dieser Zeit.
Damit vergleiche man den 1925 bei der Verkürzung der Scheune des
Pfarrhauses zu Sandesneben neu errichteten Giebel (Abb. 8), der
ganz ohne solche aus dem Rahmen des Bauganzen herausfallende "Verzierungen", nur
aus dem schlichten Baustoff des weißgefugten Backsteins heraus die Doppelreihe
der Gefache über der "Grotdör" zu wirklich lebendiger Gestaltung bringt.
Von den Steinsetzungen gelangen wir zum Holzwerk der Giebel. Über den sogen.
"halben" und "ganzen Mann" sprach ich schon oben. Die auffälligste Figur des
Giebelfachwerks ist jene eigenartige Balkenverschränkung, wie sie das schon oft
genannte Engelbrechtsche Haus in Gr. Grönau über der Grotdör am "Veih-Enn地"
(Abb. 3) aufweist. Einer der größten und vielseitigsten Gelehrten
Deutschlands, Rudolf Virchow, hat dies eigenartige Gebilde entdeckt, und zwar im
Dorfe Schönkirchen bei Kiel. Seit ihm ist dafür der Name "Bauerntanz" im Umlauf.
Dieser Name ist mir nirgendwo als volkläufig bekannt, im Fürstentum Ratzeburg
hörte ich "Hauskreuz". in Mustin im Lauenburgischen "Ruten-Dus", eine
Bezeichnung, die angesichts der Ähnlichkeit mit dem Karo-As im Kartenspiel
allerdings naheliegt. Das Verbreitungsgebiet des "Bauerntanzes" ist noch nicht
genau abgegrenzt. Nach Norden reicht es über die Kieler Förde hinüber jedenfalls
bis nach Klausdorf und Scharnhagen in den Dänischen Wohld hinein, nach Westen
scheint es die alte deutsch-slawische Siedelungsgrenze nicht zu überschreiten,
nach Süden reicht es bis in die Mitte des Herzogtums Lauenburg, wo Gudow und die
lübische Enklave
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Ritzerau *) die letzten Ausläufer sind. Im
Fürstentum Ratzeburg sind die Bauerntänze zahlreich, aber nirgendwo hab ich auf
all meinen Wanderfahrten kreuz und quer durch Mecklenburg-Schwerin einen solchen
Bauerntanz gesehen. Im Herzogtum Lauenburg nimmt begreiflicherweise die
Häufigkeit des Bauerntanzes von Norden bis zur Linie Ritzerau -Gudow allmählich
ab. Auffallend ist es, wenn ein Haus zwei Bauerntänze nebeneinander aufweist,
wie das 1834 erbaute Haus des Kätners Burmester zu Mustin, wo der
erwähnte Name "Ruten-Dus" seit alter Zeit geläufig ist. Die beiden
Balkenverschränkungen sitzen zwischen Balkenlage und unterem Rand des Walmdaches
rechts und links oberhalb der Grotdör. "In der Regel sitzt der Bauerntanz genau
unter dem First und reicht vom Torbalken bis zum Dachansatz" (W. Stier).
Bauerntänze sind mir noch aufgefallen in Gr. Sarau, Krummesse (an dem noch zu
erwåhnenden Weidemannschen Hause) und der lübischen Enklave Sirksrade (Gasthaus
Steen). Stier betont, daß die Herstellung der vielen Durchkreuzungen eine
ziemlich schwierige Aufgabe für den Zimmermann darstellte. Und gerade das
scheint mir der Sinn dieses ganzen Gebildes zu sein, daß es sich um ein
Paradestück der Zimmermannskunst handelt, das dem Meister Gelegenheit bot zu
zeigen, ob er sein Handwerk beherrschte.
Vorsichtige Zurückhaltung ist am Platze bei der Beurteilung des vielberufenen
Giebelschmuckes: Pferdeköpfe und Wendenknüppel. Hierüber ist viel behauptet
worden, was sich nicht durch wirkliche Beweise stützen läßt. Ich möchte mich auf
die Feststellung beschränken, daß HEUTZUTAGE im Lauenburgischen wie im
Fürstentum Ratzeburg nach innen blickende Pferdeköpfe als Giebelschmuck Mode
sind. Ob das immer so war, wissen wir aus Mangel an sicher mit naturalistischer
Treue gezeichneten Abbildungen nicht. Die Firstbretter gehören - im
Gegensatz etwa zum Stånderwerk - zu den allervergänglichsten und am
häufigsten erneuerungsbedürftigen Teilen des ganzen Bauernhauses. Daher sind
gerade in diesem Punkte die Schlüsse der Hausforschung so unsicher. Es ist eine
wirklich überaus gewagte Vermutung, wenn Wilhelm Haase-Lampe (in dem erwähnten
Aufsatz) "den Giebelspieß als eines der letzten Charakteristika des wendischen
Hausbaues" betrachtet und es für sehr wahrscheinlich halten möchte, "daß
Giebelspieße die polabische, Pferdeköpfe die sächsische Einzelsiedelung
kennzeichneten." Das ist sehr viel mehr behauptet, als wir wissen können. Sind
wir doch nicht einmal über die Herkunft der Pferdeköpfe im klaren. Jedenfalls
NICHT in Betracht kommt die Ableitung vom "Sachsenroß" als niedersächsischem
Stammeszeichen. Denn das springende Pferd im Wappen von Braunschweig und Han-
_______________
*) Der im Vergleich zu der gewöhnlichen Form (wie bei Engelbrecht-Gr. Grönau)
etwas komplizierter gestaltete Bauerntanz in Ritzerau - ebenso ist der am
Giebel von Rehr in Gudow gestaltet - ist abgebildet bei dem Aufsatz von W.
STIER, Vom Schmuck unserer Bauernhäuser (mit 11 Abb. von
Bauerntänzen) in den "Heimatblättern" (Mitteilungen des Vereins für
Heimatschutz), Lübeck 1926, Nr. 28 und 29.
Auch die gelegentlich der Steinsetzungen schon erwähnte Arbeit von Lenz und mein
"Bauerndorf im Lande Ratzeburg" bringen Abbildungen.
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nover ist erst nach der Mitte des 14.
Jahrhunderts, lange nach der Auflösung des alten Stammesherzogtums Sachsen und
auch lange nach der niedersächsischen Einwanderung östlich der Elbe an die
Stelle des alten sächsischen Wappentieres, des Löwen oder Leoparden, getreten.
An Deutungsmöglichkeiten für die Pferdeköpfe bleiben dann noch drei:
1) Das Pferd war bei den Sachsen ein geheiligtes Tier und spielte als Opfertier
eine wichtige Rolle. Daher hängte der Sachse als Abwehrzauber Pferdeschädel an
seinem Hause auf und ging hiervon später zur Anbringung hölzerner Pferdeköpfe
über.
2) Die Pferdeköpfe sind eigentlich gar keine Pferdeköpfe, sondern Köpfe von
irgendwelchen wehrhaften Tieren. Wölfen, Hunden oder dergleichen, welche -
ebenfalls als Abwehrzauber - das Haus vor bösen Geistern schützen sollen
(wie die Sphinxe den ägyptischen Tempel).
3) Die Pferdeköpfe sind ein Zimmermannskunststück, eine Spielerei, wozu der
Zimmermann herausgefordert wurde durch die überstehenden Enden der Windbretter.
Denn die Windbretter wurden an den zusammenstoßenden Enden miteinander
verpflockt und durften hier nicht allzu kurz abgesägt werden, weil sonst gerade
diese schwache Stelle unter dem zermürbenden Einfluß von Wind und Wetter schnell
und leicht herausriß. Die überstehenden Brettenden lockten zur spielerischen
Ausgestaltung in Tierköpfe oder dergleichen.
Ich neige der dritten Möglichkeit zu, zumal da die Pferdeköpfe keineswegs
überall in Niedersachsen gleichmäßig auftreten. Zwischen der Weser und Osnabrück
z. B. herrscht der Giebelpfahl, den man im Lauenburgischen wohl "Wendenknüppel"
nennt. Eine sichere Entscheidung der ganzen Frage ist unmöglich. *)
Vom Giebel, der Schauseite des Hauses, wenden wir uns zur inneren
Raumverteilung. Grundlegend ist hier die Tatsache, daß das Herzogtum Lauenburg,
wie es auch ganz seiner Lage längs der alten deutsch-slawischen Siedelungsgrenze
entspricht, ein Mischgebiet zweier Haustypen ist, wovon, kurz gesagt, der eine
Typus "altniedersächsisch", der andere "neuniedersächsisch", d. h. auf später
sächsisch kolonisiertem Boden zu Hause ist. Der altniedersächsische Typus, das
sog. Flettdielenhaus, wird hier durch den Grundriß des Perthunschen Hauses in
Dalldorf von 1806, der neuniedersächsische, das
Durchgangsdielenhaus, durch den Grundriß des Engelbrechtschen Hauses in GR.
GRÖNAU vertreten. Das heißt nun aber nicht etwa, daß der Süden des Kreises
Flettdiele - wie jenseits der Elbe -, der Norden Durchgangsdiele
bevorzuge! Auf den ersten Blick" könnte es scheinen, als
ob ganz allgemein der Flettdielentypus (Abb. 5) im ganzen Kreise
vorherrsche. Aber bei näherem Zusehen stellt sich heraus, daß manche
Bauernhäuser, die heute keine freie Durchfahrt für den vollen oder wenigstens
den leeren bespannten Wagen längelang durch das ganze Haus mehr gestatten, dies
früher getan haben. Meisteus ist dann
_______________
*) Über den ganzen Wirrwarr in der Frage der Giebelzierden, auch über
Steinsetzungen, lese man nach, was Wilhelm PESZLER in seiner schönen
"Niedersächsischen Volkskunde", Hannover 1922, S. 94
ff. schreibt.
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die vermauerte Durchfahrt im rückwärtigen Giebel
noch deutlich erkennbar, selbst wenn die Hausbewohner nichts mehr von ihrem
Vorhandensein wissen. Solche verbaute Durchfahrt hat z. B. das schöne Bauernhaus
Schumacher in KRÜZEN (Abb. 9), das die Inschrift trägt: "Frans
Casten Schaumager, Catrina Hedewig Schaumagers, Anno 1777." Hier
hatte die Durchfahrt nur die für den unbeladenen Wagen notwendige Höhe, wie dies
auch der rückwärtige Giebel des Eggertschen Hauses in DARGOW (Abb. 12)
zeigt. Dagegen zeigt der Giebel des Stubenendes an dem schönen Engelbrechtschen
Hause in GR. GRÖNAU (Abb. 12) volle Fuderhöhe der Durchfahrt. Auch
bei Schmaljohann (jetzt Lüneburg) in BASEDOW, in zwei Bauernhäusern zu BRUNSTORF
(nach Erinnerung von Herrn Altenteiler Klein in Kollow), an zwei Bauernhäusern
in KASSEBURG (nach Mitteilung des Herrn Zimmermeisters Vagt in Kasseburg), in
BREITENFELDE, wo Durchfahrtsdiele nach den Feststellungen des Herrn Lehrers
Drohm früher in mehreren Häusern vorhanden war, heute aber nur noch an der
vermauerten Grotdör im Hintergiebel des Eggeschen Bauernhauses sichtbar ist, im
Münchhausenschen Bauernhause zu BUCHHOLZ hatte die rückwärtige Ausfahrt volle
Fuderhöhe. Freie Durchfahrt durch das ganze Haus konnte ich ferner feststellen
für KITTLITZ (Burmeister) und das benachbarte ROSENHAGEN (Husfeldt) nördlich des
Schaalsees auf Grund von Zeichnungen, die Von den Besitzerskindern mit Hilfe
ihrer Großeltern aus Veranlassung des Herrn Lehrers Ruschmeyer angefertigt
waren. Auch für das benachbarte DECHOW (Hufner Perls und Jenckel) im äußersten
Winkel des Kreises am Röggeliner See, GRINAU (drei jetzt umgebaute Häuser), KL.
THUROW (Hufner Joachim Timm, erbaut um 1800) ist freie
Längsdurchfahrt bezeugt. Bezeichnend lautet die Auskunft aus LANKAU-GRETENBERGE:
"So sollen die älteren Häuser alle gewesen sein; jetzt ist überall das
Stubenende abgeteilt." Im allgemeinen liegt oder lag die "Grotdör" des
"Stuben-Enn地" nicht genau unter dem First, also nicht in der Mittellinie des
Gebäudes, sondern - wenn auch innerhalb der Breite des Mittelschiffs - seitlich bis hart an eine der beiden Ständerreihen heran nach links oder
rechts verschoben, damit für die Fenster der "Döns", der Wohnstube, die andere
Hälfte der Dielenbreite im Hintergiebel frei wird. (So bei Eggert in Dargow auf
Abb. 12.) Seitliche Lage der Ausfahrt deutet also NICHT etwa auf
seitliche Verschiebung der Diele überhaupt. *) Die Lage der Wohnräume ist durch
die durchlaufende Diele in der Hauptsache festgelegt. Der Hauptherd wandert bei
durchlaufender Diele in einen Raum des Seitenschiffes, der "Afsid", ab, schon
wegen der Gefahr des Funkenfluges als Folge des Durchzuges, wie ich von
fachmännischer Seite belehrt wurde. Nicht selten tritt an die Stelle der
befahrbaren Durchgangsdiele ein im hinteren Ende nur für
_______________
*) Dazu vergleiche man in der erwähnten Abhandlung von H. LENZ die Grundrisse
Nr. 5: Hufner Benecke-GR. SCHRETSTAKEN und Nr. 6:
Hufner
Wenck-HORNBEK i. Lauenburg sowie den Längsdurchblick durch das Vollhufnerhaus
Oldenburg zu WAHLSDORF im Fürstentum Ratzeburg, wo ja auch die
Durchfahrtsdiele herrscht (Abb. 2 in meinem "Bauerndorf im Lande
Ratzeburg").
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Fußgänger ausreichender Längskorridor, der zur
Gewinnung von Stubenraum immer schmaler bemessen wird. Eine Art Übergangstypus
haben wir im Bruseschen Hause zu GR. SARAU. Hier geht die Diele in voller Breite
und Höhe längelang durch das Wohnhaus, hat aber keine Grotdör in der dem Garten
zugekehrten Rückwand des Hauses. Statt der Ausfahrt schließt in der linken
Hälfte der Dielenbreite eine - aber noch immer zweiflügelige - Fußgängertür mit
Oberlicht und rechts daneben ein bleiverglastes Doppelfenster von 2
X 3 X 3 Scheiben im Hintergiebel die Diele ab. Neben
diesem Fenster befindet sich in der rechten hinteren Ecke der Diele der große
Herd mit dem Swibbogen - Durchzug und Funkenflug sind ja mit der Durchfahrt
zusammen fortgefallen -, der sich mit seiner Rückseite an die in der Richtung
der Höftstenner-Reihe verlaufende Wand lehnt und durch diese hindurch den
Bileggerofen in der Stube heizt, die den hinteren Teil der rechten Afsid
einnimmt. In stark modernisierter Form zeigt diesen Längskorridor mit Flügeltür
im Hintergiebel z. B. das außerordentlich stattliche Haus des Hufners Fr.
Brüggmann zu KUDDEWÖRDE.
Sehr viel primitiver ist der Typus der Durchgangsdiele in unseren Katen
gestaltet. Die Kate ist ja die einfachere und daher jedenfalls altertümlichere
Ausgabe des niedersächsischen Bauernhauses. Auch in den Giebeln herrscht bei der
Kate meist noch die "upschächt Wand". Der Walm geht hier noch gerne - im
Gegensatz zum Bauernhaus der letzten Jahrhunderte - rechts und links der
Einfahrt tief herunter und umschließt auf beiden oder auch nur auf einer Seite
ein "Vörschuer". Gewöhnlich umfaßte die Kate zwei Wohnungen (wie übrigens auch
das Hufnerhaus neben der Wohnung des Hufners eine für den Altenteiler zu
enthalten pflegt). Dann hat jede Wohnung die Räume einer Kübbung für sich: meist
Döns, Kammer und Stall; die Diele liegt als nentrales, gemeinsam benutztes
Gebiet, als der "Marktplatz" des kleinen Gemeinwesens dazwischen. Auf der Diele
hart am Ausgange, der die Diele im Hintergiebel in den Hausgarten münden läßt,
liegen die beiden Herde unter ihren Swibbögen einander gegenüber, jeder an die
Wand einer Döns gelehnt, die von ihm die Wärme ihres Bileggerofens bezieht,
Diese Bilegger sind manchmal noch sehr altertümlich. In der Kate des Hufners
Johs. Wulf zu Gr. Berkenthin steht einer, in Klinkern ausgeführt und mit Lehm
und Kaff übergeschmiert, auf drei Beinen aus Eichenholz. Heute sind, bei
gestiegenen Raumansprüchen, die zwei Wohnungen einer Kate meist in eine
zusammengelegt, und die Bewohner erklären kopfschüttelnd: "Dat kann地 sik gor
nich mehr denken, dat hier mal twei Familien in wahnt hebben."
Das Durchgangsdielenhaus ist also sicherlich im Herzogtum Lauenburg
heimatberechtigt und bodenständig. Vielleicht noch älter als das laut Inschrift
1716 erbaute Engelbrechtsche Haus in Gr. Grönau ist das Ficksche
Haus in Franzhagen, an dem eine anscheinend vorhandene Inschrift nicht mehr
lesbar ist. Hier liegen die Wohnräume nach vorn, zur Dorfstraße, neben der
Grotdör, die ganz auf die rechte Seite der Dielenbreite verschoben ist, während
die Fenster der Döns
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die linke Hälfte einnehmen. Im Hintergiebel führt
eine einfache Fußgängertür mit Oberlicht - eingeschnitten in das rechts
und links der Tür tief herabgehende Walmdach - von der Diele ins Freie.
Die modernste, schon halbstädtische Weiterbildung des Durchgangsdielenhauses ist
aber das Weidemannsche Haus am Stecknitz-Kanal in Krummesse (Abb. 13)
mit der Inschrift: "Franz Jürgen Hinrichsen Anno 1805." Eigentlich
steht dies mehrgeschossige Haus dem Lübecker Bürgerhaus schon näher als dem
Bauernhaus. Früher ist Bäckerei, Brennerei und Gastwirtschaft darin betrieben
worden. Im Obergeschoß ist ein niedriger, aber geräumiger Saal. "Dor hebben
fröher de Stecknitz-Schippers in danzt." Es ist ein ausgesprochener
Übergangstypus.
Kürzer kann ich mich bei dem altniedersächsischen Flettdielenhaus fassen. Das
Haus Perthun-Dalldorf ist ein ganz typisches Beispiel (Abb. 5).
Noch kennt man im Lauenburgischen den Ausdruck "Flett" für den quer durch das
Haus vor dem Stubenteil ("Kamerfack") entlanglaufenden, mit kleinen Feldsteinem
z. T. auch mit roten Backsteinen in bestimmten Mustern gepflasterten Gang, auf
dem die beiden Herde unter ihren Swibbögen (Abb. 14) stehen und
von dem auf der rechten und linken Traufseite je eine einfache in obere und
untere Hälfte geteilte Tür (Sidendör, Blangdör) ins Freie führt. Die spätere
Entwicklung ist dann gewöhnlich so verlaufen, daß das "Flett" - ich hörte
das Wort in Hohenhorn, Siebeneichen, Schiphorst - durch eine Wand, meist mit
Flügeltür, von der Diele abgetrennt und dann die eine Hälfte (der eine "Arm")
des ehemaligen Fletts Küche, die andere Eingangsflur geworden ist. Daß das
Stubenende, dessen lichte Höhe wesentlich geringer ist, als die der Diele, eine
späte Errungenschaft des niedersächsischen Hauses sein muß, beweist nicht bloß
dieser Höhenunterschied von Stubenboden und Balkenlage; es ist sogar, wenigstens
bei einem Hause, unmittelbar nachweisbar, daß ihm das "Kamerfack" nachträglich
angefügt sein muß. Das ist die Bruhnssche Kate in Linau, deren heutige Herdwand,
hinter der noch das Stubenende liegt, einmal hinterer Hausgiebel gewesen sein
muß; denn auf der jetzt im dämmerigen Lichte des Bodenraumes über den Stuben
liegenden Rückseite des in der Herdwand in Dielenhdhe liegenden Balkens zeigte
mir Herr Lehrer Siemers im Lichte der elektrischen Taschenlampe die Inschrift:
H. I. B. ANNO 1765. Sein Schluß, daß hier früher das Haus zu Ende
gewesen sein müsse, erscheint angesichts der sonst in dem Hauptbalken des
Vorder- wie des Hintergiebels üblichen Inschriften zwingend. Vorher wird der
Herd nicht an dieser Wand gelegen haben, sondern die Diele ganz durchgegangen
sein. So sind anscheinend nicht selten ehemalige Durchgangsdielen in Flettdielen
umgewandelt worden. Herr Lehrer Ruschmeyer-Kittlitz weist hin auf die dort bei
drei Häusern ihm aufgefallene Besonderheit, daß die Traufseitenwände am
Stubenende beträchtlich höher sind als in der übrigen Länge des Hauses: "Sie ist
entstanden, als an das ursprüngliche Bauernhaus das Stubenende angebaut wurde.
Vordem konnte der Erntewagen durch das Haus hindurchfahren. Begonnen wurde
anscheinend frühestens mit dem Anbau des Stubenendes im Orte ab 1870,
bis
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Bildertafeln zu DR. FOLKERS, Das
lauenburgische Bauernhaus
Die Pläne des Engelbrechtschen Hauses (Abb. 1-3) sind
von den Herren RIEMANN und WIEDERMANN-Ratzeburg hergestellt worden.
Die interessanten Aufahmen Nr. 4, 10,
14 und 17 wurden von Herrn THEODOR MÖLLER
in Kiel, Nr. 15 von Herrn Lehrer KAHNS in Krummesse
gütigst zur Verfügung gestellt. Die Zeichnung der Donnerbesen stammt
von der Hand der Herren Lehrer SIEMERS in Linau und SOLTAU in
Siebeneichen.
Allen genannten Herren sei auch hier noch einmal herzlich gedankt.
Abb. 1. Querschnitt des
Hufnerhauses Engelbrecht in Gr. Grönau.
1. Höftstenner. 2. Balken (Höftplat nicht sichtbar).
3. Sporen (Hauptsparren).
4. Kehlbalken, Hahnbalken. 5. Afsidsporen, lütt
Sporen. 6. Koppband. 7. Murplat.
8. Höftriegel. 9. Intog mit Hill. 10.
Oesel, Oeselbrett. 11. Kapp (First).
12. Lägen. 13. Riegel.
*
Abb. 2. Grundriß des Engelbrechtschen Hauses in Gr. Grönau
(Durchfahrtsdiele).
*
Abb. 3. Südgiebel (Veih-Enn'n) des Engelbrechtschen Hauses in Gr.
Grönau mit sog. Bauerntanz.
*
Abb. 4. Nordgeibel (Stuben-Enn地) des Engelbrechtschen Hauses in
Gr. Grönau mit Durchfahrt in Fuderhöhe.
*
Abb. 5. Flettdielenhaus.
*
Abb. 6. Haus Stamer, früher Scharffenberg in Sandesneben vom Jahre
1803.
*
Abb. 7. Lauenburgisches Bauernhaus vom Jahre 1859.
*
Abb. 8. Pfarrhaus in Sandesneben. Neuer Giebel von 1925.
*
Abb. 9. Haus Schumacher in Krützen vom Jahre 1777.
*
Abb. 10. Haus Singelmann zu Hornbek mit Heckschauer.
*
Abb. 11. Donnerbesen an der Kate des Halbhufners Carstens in
Linau.
*
Abb. 11a. Donnerbesen am Berlingschen Hauses in Siebeneichen.
*
Abb. 12. Giebel am Stubenende des Hauses Eggert in Dargow mit
seitwärts verschobener Ausfahrt für leere Wagen.
*
Abb. 13. Stubenende des Weidemannschen Hauses am Stecknitz-Kanal
in Krummesse mit Längskorridor und Flügeltür.
*
Abb. 14. Flett mit Herd unter dem Swibbogen im Singelmannschen
Hauses zu Hornbek.
*
Abb. 15. Alte Scheune zu Rondeshagen.
*
Abb. 16. Gutes neues niedersächsisches Gehöft (Hofbesitzer Dassau
in Dassendorf).
*
Abb. 17. Alter freistehender Backofen zu Hornbek.
1927/3 - nicht paginiert - Abbildungen
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im Jahre 1906 (die späteste Zahl,
die ich erfahren konnte) überall der Anbau durchgeführt war. Ich lasse die
Zahlen für die mir bekannten Gehöfte folgen: Burmeister 1870,
Kasch 1879, Scharnweber 1883, Möller in Rosenhagen
1906."
Das verfeinerte Wohnbedürfnis wird es gewesen sein, das dem Flettdielenhaus
Mittelholsteins und Lüneburgs den Sieg über das Durchfahrtsdielenhaus verschafft
hat - Bedürfnis nach Vermehrung der Wohnräume und stärkerer Abschließung
vom Schmutz und Staub der Wirtschaftsräume. Aber es ist doch bezeichnend, daß J.
J. H. Lütgens, Direktor der höheren Volksschule in Rendsburg, als er 1847
"auf Kosten des Vorstandes der XI. Versammlung deutscher Land- und Forstwirte in
Kiel" eine wertvolle "Kurzgefaßte Charakteristik der Bauernwirthschaften in den
Herzogthümern Schleswig und Holstein nebst Grund- und Aufrissen einzelner
Gehöfte verschiedener Landestheile" herausgab, für die Ämter Reinfeld und
Traventhal zwei Grundrisse "alter Bauart" mit Durchfahrtsdiele und einen
Grundriß "neuer Bauart" mit Längskorridor bringt. Flettdiele kennt der gut
unterrichtete Verfasser hier noch, gar nicht, wohl aber in Mittelholstein. Das
Herzogtum Lauenburg behandelt er leider nicht mit.
Für das lauenburgische Flettdielenhaus ist der beigegebene Grundriß von
1806 (Abb. 5) so charakteristisch, *) daß er sich ohne
weitere Worte selbst erklärt, wenn man ihn mit dem Grundriß des Engelbrechtschen
Hauses vergleicht. Zu bemerken ist nur, daß Abb. 5 NICHT den
Grundriß des heute noch in prachtvoller rein niedersächsischer Flettdielenform
erhaltenen Bauernhauses des Herrn Perthun in Dalldorf darstellt. Das ergibt
schon die Inschrift am Balken des heutigen Hauses Perthun: "Anno 1810
den 6. Juni) haat Johann Hinerrich Porthun und Margretha Elisabett
Porthun dieses Haus bauen lassen. Ohrra et Laborra [lateinischer Spruch: ORA ET
LABORA - Bete und arbeite]. Die Arbeit thut es nicht allein, des Herren
Seegen muß da sein, Darum ruff Gott an zu deinen Werrck, Gebeet geht über Witz
und Sterck." Dies Haus, ein Prachtexemplar von niedersächsischem Hause, stand
also 1806 noch nicht. Dazu teilt Herr Lehrer Hahn-Dalldorf mit:
"Das Haus von Perthun ist 1809 nach der Verkoppelung abgerissen
und an der jetzigen Stelle genau so (mit denselben Balken) wieder aufgebaut, wie
es vordem war." Gewisse Unterschiede sind gegenüber der alten Zeichnung
vorhanden. Es ist daher nicht ganz klar, wie Zeichnung uud wirklich vorhandenes
Gebäude sich zu einander verhalten und inwiefern sich Schlüsse auf die
Einrichtung des früheren Gebäudes ziehen lassen, auch nicht, wie alt dieses
frühere Bauernhaus vor der Auseinandersetzung zwischen Gntsländereien
[sic!] und
Bauernland gewesen ist.
Ein paar Einzelheiten des alten Hausbaues sind noch zu erwähnen. Zunächst die
Schlafgelegenheiten. Sie waren wandschrank-
_______________
*) Man vergleiche hierzu noch den Grundriß des Hufnerhauses Singelmann zu TRAMM
bei H. LENZ in der angeführten Abhandlung (Zeitschrift des Vereins für lüb.
Geschichte und Altertumkunde VII, 1898, Abb. 4),
wo nur im Vergleich zu Perthun-Dalldorf der Wohnteil etwas reicher, zu zwei
Dönsen und zwei Kammern entwickelt ist.
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artig in die Stuben eingebaut. Man unterscheidet
"Kuhs" oder "Butz", die nur das Bett enthielten, "mit Schüwers dorvör" von den
"Alkoven", die noch für einen Stuhl oder dergleichen Platz hatten. Mit Vorliebe
ist das Wandbett des bäuerlichen Ehepaares so eingebaut, daß man von ihm aus
durch ein Wandfenster die Diele übersehen kann. - Eine feste Regel, auf welcher
Seite die Kühe und auf welcher die Pferde stehen, gibt es im Lauenburgischen
nicht. Bei der Grotdör ist eine Seite, und zwar meist die linke, wagerecht
geteilt. Manchmal sind auch beide Türflügel geteilt (z. B. Meyer, früher Kiehn,
Hohenhorn). Der Verschluß der Grotdör erfolgt mittels des senkrecht in Türmitte
eingesetzten "Dössel" ("Dördrüssel"), der unten in der "Dörenswell", oben im
"Dörensprang" seinen Halt hat. Neuer ist der Verschluß mittels "Wrendel"
(Vorreiber) oder "Hewel un Knaggen" oben, "hölten Schott un hölten Klink" unten. - Herd und Flett zeigt in typischer Form die Innenaufnahme im Hause
Singelmann-Hornbek (Abb. 14).
Schon mehrfach war Anlaß gegeben, auf die lange Entwicklungsgeschichte des
niedersächsischen Hauses hinzuweisen, dessen Lebenszähigkeit - heute noch
in ganz Niedersachsen unerschüttert - im Grunde auf seiner starken
Anpassungsfähigkeit beruht. Um es noch einmal zu sagen: Das Niedersachsenhaus
ist ganz und gar nicht primitiv, sondern eine hohe handwerkliche Leistung im
technisch-wirtschaftlichen wie im künstlerischen Sinne. Die lange
Entwicklungsgeschichte dieses Hauses westlich der Elbe hat sich bei uns, im
Koloniallande, noch einmal vollzogen, und zwar - nach kolonialer Art - in schnellerem Tempo, "in gedrängter Kürze". In der alten Scheune zu
Rondeshagen (Abb. 15) sehen wir so etwas wie das Anfangsstadium,
die Urzelle, in einem Gehöft wie dem ganz modernen des Herrn Dassau zu
Dassendorf (Abb. 16) das vorläufige Endergebnis dieser
Entwickelung. Es ist kein Zweifel, daß - so sonderbar es klingt - das
Sachsenhaus ursprünglich nur einen Raum hatte: den heutigen Dachboden "up den
Balken". Nur daß der heutige "Boden" "up den Balken" damals noch der Erdboden
war, auf dem das Herdfeuer brannte. So sehen germanische Grabhäuser aus. So
sehen die Schafställe der Lüneburger Heide und so ungefähr sieht auch noch die
Rondeshagener Scheune aus. Der erste große Schritt weiter ist die Aufständerung
dieses Raumes. Damit ist unter dem Dachboden die Diele als der einzige Hausraum
gegeben. So mögen germanische Hallen ausgesehen haben. Der zweite Schritt bringt
dann das "Anklappen" der "Afsiden" als Ställe für das Vieh, das bis dahin dem
Wind und Wetter getrotzt hatte. Dann werden in diesen Einraum Wohnräume
eingebaut oder an ihn angebaut. Ersteres führt zum Durchfahrtsdielenhaus,
letzteres - wie wir z. B. in Kittlitz feststellten, noch im 19.
Jahrhundert im Herzogtum Lauenburg geübt - zum Flettdielenhause mit dem
Kamerfack. Wendischer Baueinfluß ist in keiner Spur mehr nachweisbar.
Wahrscheinlich war der wendische Hausbau so primitiv wie die gesamte Kultur des
Wendentums. Ein sächsisches Haus erschien dem Wenden so erstrebenswert wie die
ganze niedersächsische Kultur. Der Wende hatte damals
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keinen Nationalstolz, weil er keinen nationalen
Kulturbesitz hatte, der als Grundlage nationalen Selbstgefühls Voraussetzung
ist. So ging der Wende widerstandslos im Deutschtum auf. Freilich muß man sich
die von den Kolonisten mitgebrachte Kultur - in allen Dingen, auch im
Hausbau - wesentlich primitiver denken als zur selben Zeit im Mutterlande
Westelbien. Das ist bei jeder Kolonisation so. Daß das Bauernhaus östlich der
Elbe noch lange Einraum gewesen ist und besonderer Wohnräume entbehrt hat, dafür
hat die Bauernhausforschung in Mecklenburg deutliche Anhaltspunkte ergeben. *)
So wäre es auch möglich, die Entwicklung zum Durchfahrtsdielenhause im
Kolonialland im Gegensatz zum westelbischen Flettdielenhause aus dem Einraum zu
erklären, mit dem die Kolonisten von vorne wiederanfangen und von dem aus sie
eine Hausform nach ihrem Geschmack erst wieder von neuem entwickeln mußten. Also
wäre das Durchfahrtsdielenhaus erst hier von ihnen neu geschaffen.
Aber warum ging diese Entwicklung im ostdeutschen Kolonialland gerade zum
Durchfahrtsdielenhause? Geht es an, sich da einfach auf den Zufall zu berufen?
Oder sollte es nicht näherliegen, hier ein Zeichen der Herkunft jener deutschen
Kolonisten zu suchen? Dann gingen sie zum Durchfahrtsdielenhause vielleicht eben
deshalb über, weil dies ihrer Tradition so entsprach? Die Durchgangsdiele ist
nämlich in bestimmten Gebieten des niedersächsischen Mutterlandes vorherrschend:
in einem breiten Streifen dnrch Südwestfalen bis ins südliche Hannover, der sich
von der rheinisch-westfälischen Grenze bei Hagen, Lüdenscheid und Olpe bis an
die Leine auf der Strecke Kreiensen -Göttingen erstreckt. Die Südgrenze dieses
Durchgangsdielengebietes, das Wilhelm Peßler festgestellt hat, läuft von Olpe
etwa über Winterberg am Kahlen Ästen, Sachsenhausen in Waldeck
und Hannöversch-Münden nach Göttingen, die Nordgrenze etwa längs der wichtigen
Schnellzugsstrecke Dortmund-Hamm-Bielefeld-Herford, wo die Grenze nach rechts
abbiegt über Rinteln und Hameln nach Kreiensen. Aus Westfalen aber sollen nach
Helmolds Slavenchronik (Kap. 91) die Kolonisten gekommen sein,
denen Heinrich, Graf zu Ratzeburg, im Lande der Polaben Grund und Boden nach
herkömmlichem Maße zuteilte. Zur Stützung der Ansicht, daß der Hausbau im
Koloniallande Traditionen der alten Heimat fortzusetzen pflege, müssen hier
einige Tatsachen aus Nachbargebieten herangezogen werden. In einem bestimmten
Teile des Durchgangsdieletnhausgebietes kommt eine Besonderheit des Aufrisses
vor, das sog. Dreiständerhaus, dessen eine Traufseitenwand bis zur Höhe der
Balkenlage hochgeführt ist. Dies kommt im Herzogtum Lauenburg nirgends vor, denn
bloße Scheunen mit einer hochgezogenen Traufseiterkwand zählen nicht mit. Aber
das Fürstentum Ratzeburg hat solche Dreiständer-Wohnhäuser in großer Zahl, und
ebenso das Klostergebiet von Doberan, und gerade hier glauben wir mit ziemlicher
Gewißheit
_______________
*) Nachzulesen in meinen "Beiträgen zur Bauernhausforschung in Mecklenburg",
Zeitschrift des Heimatbundes Mecklenburg, XX. Jahrgang 1925,
S. 122 ff.
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eine alte Bautradition aus den Weserlanden zu
erkennen, wo Doberans Mutterkloster Amelungsborn liegt.*)
So ist das lauenburgische Bauerndorf ein Denkmal deutscher Kulturarbeit im
kulturarmen Wendenlande. Es trägt das Gepräge deutschen Volkstums und deutscher
Leistung. Aber das Bauerndorf ist kein Altertumsmuseum, das konserviert werden
dürfte, wie es nun einmal ist, weil es mit Gegenwart und vollends Zukunft nichts
zu schaffen hätte. Das deutsche Bauerndorf hat noch Zukunftsaufgaben. Darunter
aber ist noch wichtiger als die Versorgung des deutschen Volkes mit Brotkorn und
Fleisch, wovon ja genügend in allen Zeitungen zu lesen steht, die Versorgung
Deutschlands mit Menschen von unverbrauchter Nervenkraft, festem, erdhaftem
Heimatsgefühl und starkem Gemeinschaftsempfinden. Solche Menschen wachsen weder
in den großen Städten noch auf den großen Gütern. Solche Menschen wachsen aber
auch im Bauerndorf nur, so lange es eine "Heimat" ist. Daher dreht sich aller
echte "Heimatschutz" NICHT darum, das Dorf zum Museum zu machen, sondern einer
Fortentwicklung die Bahn frei zu machen, in der die Belange des Geldbeutels
nicht mehr ohne Not die Belange des deutschen Volkstums und seiner Zukunft
rücksichtslos beiseite drücken dürfen. Wer mit Trauer gesehen hat, welche Werte
der Heimatlichkeit gerade in Schleswig-Holstein die innerlich wirren Zeiten des
19. Jahrhunderts verwüstet haben, muß mit Freude feststellen, daß
das Herzogtum Lauenburg schon im Dorfbild eine weit gesündere Entwicklung
genommen hat, und muß von Herzen wünschen, daß es den eingeschlagenen Weg
verfolge, damit auch in Zukunft auf unsern Dörfern der Blick ihrer Bewohner mit
Freude, Stolz und Anhänglichkeit ruhen könne.
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