Überblicken wir die bisherigen
Untersuchungsergebnisse über die Pflanzenwelt Lauenburgs, so
hebt sich ein auffälliges pflanzengeographisches Problem heraus.
Die Flora dieses Gebietes ist ungleich viel artenreicher als
irgendein Kreis der Provinz Schleswigs-Holstein, und ferner
verlaufen die Verbreitungsgrenzen zahlreicher Arten in engen
Parallelen durch Lauenburg oder das westlich sich anschließende
Gebiet. Dieses Problem, dem wir nirgends im norddeutschen
Tiefland eine ähnliche Erscheinung zur Seite stellen können,
gilt es nun zu erklären.
Die Besiedelung des Bodens unserer Heimat begann mit dem
Augenblick des Rückzuges des letzten großen Inlandeises. Riesige
Moränenmassen hatte das Eis abgelagert, mehrere von Osten nach
Westen streichende Endmoränenstaffeln zeugen in Lauenburg von
wiederholtem Vor- und Zurückweichen des Eisrandes. Reißende
Schmelzwasserströme wuschen Teile der Grundmoräne aus und
setzten die mitgeführten sandigen und tonigen Bestandteile je
nach ihrer Schwere früher oder später wieder ab. So entstanden
die weiten Sandfelder z. B. südlich von Mölln. Das heutige Tal
des Elbe-Trave-Kanals ist eins der mächtigsten Täler, in denen
das Schmelzwasser des Inlandeises zur Elbe floß. Die an ihrer
Oberfläche stärker verwitterten Höhenzüge im südlichen Teil des
Kreises sind Moränenablagerungen einer älteren Vereisung.
Zwischen den zahlreichen Hügelketten liegen wassererfüllte
Becken, von denen ein großer Teil allmählich verlandete und zu
Mooren wurde. (Abb.
6 und
7.)
Die klimatischen Verhältnisse Lauenburgs sind nicht zu allen
Zeiten der langen Periode nach dem Abschmelzen des Eises die
gleichen
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gewesen. Tief eingreifende geologische
Ereignisse im gesamten Gebiet der Ostsee und ihrer Randländer hatten
gleichzeitig erhebliche Klimaschwankungen zur Folge. Zwei Hebungen und Senkungen
des Ostseegebietes brachten bedeutende Veränderungen in der Verteilung von
Wasser und Land mit sich. Durch die Hebungen wurde die Ostsee zeitweise vom
offenen Weltmeer abgeschnitten, während durch die auf die erste Hebung folgende
Senkung im Gebiet der heutigen mittelschwedischen Seen und der dänischen Inseln
Wasserverbindungen geschaffen wurden. Diese geologischen Ereignisse in der
Nacheiszeit spielten sich vornehmlich in Skandinavien, Dänemark und einem Teil
der deutschen Ostseeküste ab. Der Kreis Lauenburg wurde jedoch ebenso wie der
größte Teil der Provinz Schleswig-Holstein durch sie nicht betroffen. In keinem
Abschnitt der Nacheiszeit sind diese Gebiete vorübergehend unter den
Meeresspiegel gesunken, sondern haben stets einen Teil der großen Landbrücke
dargestellt, die die Verbindung zwischen dem norddeutschen Flachland und
Skandinavien bildet. Lauenburg können wir als den Südpfeiler dieser Brücke
ansehen, auf der sich während der Nacheiszeit die Wanderung fast der gesamten
Pflanzen- und Tierwelt abspielte.
Die meisten Pflanzen unserer Heimat begannen nach dem Rückzug des großen
Inlandeises aus Ost-, Südost- und Südeuropa, wohin sie sich während der
Kälteperiode zurückgezogen hatten, vorzudringen. Ein kleinerer Teil, wie z. B.
das Heidekraut (CALLUNA VULGARIS), die Glockenheide (ERICA TETRALIX),
verschiedene Ginsterarten (GENISTA ANGLICA und G. TINCTORIA), der Hülsen oder
Ilex (ILEX AQUIFOLIUM) u. a. stammen aus dem westlichen Europa. Sie alle
gelangten, im einzelnen natürlich in verschiedenen Zeitabschnitten, in das
Gebiet südlich und südöstlich der cimbrischen Landbrücke und besiedelten im
wesentlichen zunächst das große Einfallstor Lauenburg.
Besondere Umstände begünstigten die Einwanderung in diesen Kreis. Wie wir oben
sahen, vollzieht sich die Ausbreitung zahlreicher Arten vornehmlich entlang den
Tälern und Höhen der großen Ströme. Für Lauenburg und darüber hinaus für
Schleswig-Holstein und sicherlich auch z. T. für Dänemark und Skandinavien
spielt in dieser Hinsicht die Elbe mit ihren Nebenflüssen eine bedeutende Rolle.
Ihr verdankt Lauenburg in hohem Grade seinen Artenreichtum. Es ist heute
vielleicht nicht mehr festzustellen, welche der jetzt bei uns allgemein
verbreiteten Pflanzen ursprünglich ihren Weg durch das Elbstromtal nahmen, bevor
sie sich gleichmäßig über das ganze Land verteilten.
Die dauernde Ansiedelung der Arten in Lauenburg wurde ermöglicht durch das
Vorhandensein passender Standorte. In kaum einem Bezirk der cimbrischen
Halbinsel begegnen wir einer so wechselvollen Oberflächengestaltung wie in
Lauenburg. Wir finden hier Jung- und Altmoräne in mehrfacher Staffelung, davor
die von den Gletscherströmen aufgeschütteten Sandebenen und dazwischen die die
Täler ausfüllenden Seen und Moore. Das in nordsüdlicher Richtung verlaufende Tal
des Elbe-Trave-Kanals hat alle Zeit der raschen Ausbreitung der Arten in
Lauenburg Vorschub geleistet.
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Gleiche oder zum mindesten sehr ähnliche
Bodenverhältnisse wie in Lauenburg finden wir überall auf der cimbrischen
Halbinsel, abgesehen natürlich von der Marsch. Es muß deshalb wundernehmen, daß
wir nicht eine mehr oder weniger gleichmäßige Verbreitung der Arten in allen
Teilen der Halbinsel beobachten. Demnach muß dort ein anderer Faktor in dieser
Erscheinung eine bedeutsame Rolle spielen.
Vor wenigen Jahren noch wurde die Ansicht ausgesprochen, daß es das "historische
Moment" sei, das die Pflanzen bisher nur bis Lauenburg oder kurz westlich
darüber hinaus gelangen ließ. Man meinte, die meisten der für die Lauenburgische
Flora bezeichnenden Arten hätten die Grenzen ihrer Ausbreitungsmöglichkeit noch
nicht erreicht; sie befänden sich noch auf der Wanderung nach Westen und Norden.
Für einzelne Pflanzen ist es erwiesen, daß sie erst in jüngster Zeit zu uns
gekommen sind. Es sind ausgesprochene "Wanderpflanzen", deren Geschichte der
Einwanderung ziemlich gut bekannt ist. Das in den Steppen Mittel- und
Südrußlands beheimatete Frühlings-Kreuzkraut (SENECIO VERNALIS) trat zuerst vor
reichlich hundert Jahren in Ost- und Westpreußen und in Schlesien auf. In
breiter Front drang es seitdem westwärts vor, indem es sich besonders an die
Urstromtäler anlehnte. In den 50er Jahren fand es sich zuerst in der Mark
Brandenburg. Anfang der 60er Jahre in Mecklenburg. Bei Magdeburg stellte sich
die Pflanze 1870, in der Provinz Hannover in den 80er Jahren ein. Die Weser
wurde 1882 und 1893 überschritten. Das erste Auftreten in Lauenburg ist leider
nicht bekannt geworden. Dagegen wird die Pflanze aus den Nachbargebieten von
folgenden Fundorten genannt: 1869 Schlutup bei Lübeck, 1885 Waldhusen bei Lübeck
und im selben Jahr bei Neustadt i. H., 1886 bei Hamburg. Friedrich gibt sie als
erster von der Nordgrenze des Kreises Lauenburg an. Danach wies er sie 1891 und
1894 zwischen Blanksensee und Grönau nach. 15 Jahre später wird sie von Mölln
angegeben. Heute ist sie in Lauenburg nicht mehr selten. Auch in einzelnen
Teilen Schleswig-Holsteins ist sie in den letzten zwei Jahrzehnten wiederholt
beobachtet worden; jedoch unterscheidet sich das Vorkommen in Lauenburg und bei
Lübeck von dem in Schleswig-Holstein in sehr bemerkenswerter Weise dadurch, daß
die Pflanze dort wesentlich reichlicher und vor allem beständiger auftritt als
hier.
Ähnlich ist die Einwanderungsgeschichte der Cypressen-Wolfsmilch (EUPHORBIA
CYPARISSIAS), die vorwiegend entlang den Eisenbahndämmen sich verbreitet.
Claudius fand sie um 1860 zuerst bei Büchen, Klatt zwischen Wangelau und Lütau.
1886 wurde die Pflanze mehrfach in der Umgebung von Lübeck und etwa gleichzeitig
bei Hamburg nachgewiesen. Jetzt begegnet man ihr in Lauenburg öfter, und sie
scheint hier ebenso wie das Frühlings-Kreuzkraut beständiger vorzukommen als an
manchen Stellen in Schleswig-Holstein.
Als drittes Beispiel sei das Kreuz-Labkraut (GALIUM CRUCIATUM), dessen
Geschichte Röper kürzlich zusammenstellte, genannt. Die Pflanze folgt bei uns
dem Stromtal der Elbe. 1879 wurde sie zum ersten Mal bei Hamburg festgestellt.
Für Lauenburg entdeckte sie Kausch
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Abb. 6
Phot. DR. Emeis, Flensburg
Wacholder. Blick auf den Drüsensee.
in den 90er Jahren bei Geesthacht. Heute ist sie von zahlreichen Fundorten in
größeren Beständen vom Lauenburger Elbufer bekannt.
Sicherlich gehört hierher aus den oben genannten Artenlisten noch eine längere
Reihe von Pflanzen, die erst in verhältnismäßig junger Zeit in unser Gebiet
eingewandert sind. Nur liegt der Zeitpunkt ihres ersten Erscheinens bei uns vor
dem Beginn der Erforschung unserer heimatlichen Pflanzenwelt, so daß die
Feststellung ihrer Einwanderungsgeschichte nur lückenhaft möglich ist. Sehr
wahrscheinlich haben erst in geschichtlicher Zeit diejenigen Arten bei uns ihr
Bürgerrecht erworben, die mit Vorliebe, wie oben dargestellt, entlang den
Steilhängen der schleswig-holsteinischen Ostseeküste nordwärts sich ausbreiten,
während sie in Lauenburg und Südostholstein gar nicht oder kaum ihr
Verbreitungsgebiet zu vergrößern scheinen. Dahin sind z. B. zu zählen: der
Feld-Beifuß (ARTEMISIA CAMPESTRIS), die Stengellose Kratzdistel (CIRSIUM
ACAULE), die Waldplatterbse (LATHYRUS SILVESTER), das Manns-Knabenkraut (ORCHIS
MASCULUS), der Echte Dost (ORIGANUM VULGARE), die Tauben-Skabiose (SCABIOSA
COLUMBARIA), das Nickende Leimkraut (SILENE NUTANS), das Kleine Mädesüß (ULMARIA
FILIPENDULA). Aus den anderen Gruppen seien angeführt: die Wiesen- und
Pfirsichblättrige Glockenblume (CAMPANULA PATULA und C. PERSICIFOLIA), die
Spurre (HOLOSTEUM UMBELLATUM), die Bergsilge (PEUCEDANUM OREOSELINUM), der
Zottige Günsel (AJUGA GENEVENSIS), die Sand-Strohblume (HELICHRYSUM ARENARIUM)
u. a.
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Abb. 7. Phot. DR. Emeis, Flensburg.
Schwarzsee bei Mölln
Kiefern-Birkenwald. Umrandung mit Trunkelbeeren
(VACCINIUM ULIGINOSUM und Porst (LEDUM PALUSTRE)
Bisher wurde angenommen, daß alle diese jungen Bürger unserer Flora in kürzerer
oder längerer Zeit mehr und mehr von unserem heimatlichen Boden Besitz ergreifen
und sich gleichmäßig über das gesamte Gebiet der cimbrischen Halbinsel
verbreiten würden. Diese Pflanzen, die fast alle entwicklungsgeschichtlich aus
dem fernen Osten, Südosten und Süden stammen, würden demzufolge auf ihrem weiten
Wanderwege, der sie teils nördlich, teils südlich der Ostsee führte und sie
bisher etwa bis nach Lauenburg und das südöstliche Holstein gelangen ließ,
früher oder später ihr Verbreitungsgebiet rings um die Ostsee schließen müssen.
Das scheint jedoch nach den bisherigen Beobachtungen besonders an den erwähnten
jüngsten Einwanderern nicht der Fall zu sein. Mit ziemlich großer
Geschwindigkeit haben die Pflanzen das östliche Norddeutschland durchwandert.
Bei ihrer Ankunft in Lauenburg aber ist scheinbar ihre Wanderlust großenteils
verloren gegangen. Sie stehen offenbar hier an der Grenze ihrer
Verbreitungsmöglichkeit. Nur gelegentlich erobern sie einen weiter
vorgeschobenen Posten, müssen ihn aber oft wieder aufgeben; im übrigen
beschränken sie sich darauf, das bisher erworbene Gebiet zu behaupten.
Viele Pflanzen haben schon lange vor der geschichtlichen Zeit unsere Heimat
besiedelt, manche von ihnen. wie z. B. das Rohr-Reitgras (CALAMAGROSTIS
ARUNDINACEA), die Blumenbinse (SCHEUCHZERIA
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PALUSTRIS), die Kiefer und der Wacholder
(Abb. 6) sind ehemals viel weiter nordwärts allgemein verbreitet gewesen. Sie
sind zum großen Teil, wie man annimmt[,] durch die Änderung der klimatischen
Verhältnisse, z. T. auch durch den Einfluß des Menschen, zurückgedrängt worden.
Nur an einzelnen Punkten, wo die örtlichen Bedingungen zusagten, haben sie sich
halten können, wie z. B. in den Eichenkratts.
Eigenartiger Weise fällt die heutige Verbreitungsgrenze dieser zurückgedrängten
Pflanzenarten ziemlich genau mit der der jüngeren Einwanderer zusammen, die sich
jetzt offenbar vergeblich bemühen, ihr Areal weiter auszudehnen. Diese Tatsache
darf wohl in erster Linie als Beweis dafür gelten, daß ein starkes Hindernis auf
der cimbrischsen Halbinsel besteht, dessen Überwindung für alle genannten
Pflanzen auf die größten Schwierigkeiten stößt. Dieses Hindernis dürfte in dem
gegenwärtig herrschenden Klima zu suchen sein.
Betrachtet man die hauptsächlich von den meteorologischen Stationen
festgestellten Beobachtungen über die einzelnen klimatischen Faktoren, so ergibt
sich die überraschende Tatsache, daß eine weitgehende Übereinstimmung zwischen
Klimalinien und Verbreitungsgrenzen der hier behandelten Pflanzen besteht. Das
Klima des Kreises Herzogtum Lauenburg und einiger kleinen Nachbargebiete weist
gegenüber dem der Provinz Schleswig-Holstein einen geradezu kontinentalen
Charakter aus. Blicken wir auf das gesamte norddeutsche Tiefland mit seinem
sommerkühlen und wintermilden Seeklima in Nordseenähe und seinem durch heiße,
trockene Sommer und strenge Winter ausgezeichneten Klima in den östlich
gelegenen Gebieten, so liegt Lauenburg in einer Zone, wo sich die Einflüsse des
See- und Landklimas ziemlich die Wage halten. Hier herrschen gleichzeitig ein
stark gemildertes Landklima und ein fast ebenso stark gemildertes Seeklima.
Der Einfluß der Ostsee auf das Klima ihrer Randländer ist nach den
Untersuchungen von Troll als nur gering anzusehen. Er wirkt sich höchstens
30-40
Kilometer landeinwärts aus. In den westlichen Gebieten verstärkt die Ostsee
etwas das ozeanische Klima, in den östlichen mildert sie das kontinentale.
Lauenburg, kurz abseits im Schutze des Südwestwinkels der Ostsee gelegen,
befindet sich größtenteils außerhalb der 30-40 Kilometer-Zone, so daß hier ein
merkbarer Einfluß auf das Klima durch die Ostsee kaum anzunehmen ist.
Versuchen wir die einzelnen klimatischen Faktoren Lauenburgs im Vergleich mit
denen Schleswig-Holsteins zu kennzeichnen, so ergibt sich folgendes Bild: der
erwärmende Einfluß der von der Nordsee her wehenden Westwinde macht sich am
stärksten im Januar bemerkbar, und zwar wirkt er etwa bis zur Linie
Lübeck-Geesthacht. Westlich dieser Linie liegen im Verhältnis zum übrigen
Deutschland außerordentlich warme Januartemperaturen, die Werte von - 1 bis
+
1,4 Grad Celsius annehmen. Umgekehrt verläuft in den Monaten April, Mai, Juni
und Juli die Richtung der Temperaturzunahmen von Westen nach Osten. Nur im März
nimmt die Temperatur von Norden nach Süden zu. Die Temperaturunterschiede
innerhalb Schleswig-
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Holsteins und Lauenburgs sind in den Monaten
Juni, Oktober, November und Dezember am größten und betragen etwa 2 Grad
Celsius. Die mittlere jährliche Temperaturschwankung, d. h. die
Temperaturdifferenz zwischen dem wärmsten und kältesten Monat beträgt in
Lauenburg über 17 Grad Celsius, in Schleswig-Holstein ist sie erheblich geringer
und erreicht z. T. Werte unter 15 Grad Celsius. Daraus erkennt man deutlich den
kontinentaleren Charakter im Klima Lauenburgs. Dieser tritt ferner klar hervor,
wenn man die Dauer der frostfreien Zeit betrachtet, die für die Entwicklung der
Pflanzenwelt von ungleich größerer Bedeutung ist als die mittleren Jahres- und
Monatstemperaturen. Im Durchschnitt sind in Lauenburg und einem Teil Holsteins
141-180 Tage frostfrei. Im übrigen Schleswig-Holstein ist infolge der Nähe des
Meeres die Frostgefährdung erheblich geringer. Hier sind im höchsten Falle sogar
240 Tage frostfrei.
Bezüglich des Lichtes, ohne das ein Wachstum der grünen Pflanze unmöglich ist,
liegen aus Lauenburg bisher leider keine Untersuchungen vor. Wir sind deshalb
auf Befunde angewiesen, die in Kiel festgestellt wurden. Zum Vergleich seien die
mit derselben Apparatur beobachteten Ergebnisse von Davos herangezogen. Danach
ist die mittägliche Ortshelligkeit in Davos im Winter viermal, im Sommer zweimal
so groß wie in Kiel; ferner ist sie in Davos im Winter 1 1/5 mal so groß wie die
Kieler im Sommer. Die Sonnenscheindauer ist in Davos gegenüber Kiel 1,9 mal
größer, im Sommer ebenso groß, im Jahre 1 1/4 mal größer· Die geographische
Breiten- und Höhenverschiebung bedingen es, daß die Ortshelligkeit an klaren
Tagen für Kiel im Vergleich mit Davos im Winter um etwa 55 %, im Sommer um etwa
13 %, im Jahr um etwa 23 1/2 % geringer ist. Die größere Höhe der
Atmosphärenschicht und der höhere Grad der Bewölkung in unserm Gebiet haben zur
Folge, daß nur 25-50 % der Sonnenenergie die Erde erreichen, während in
1800 m
Höhe die Strahlungsenergie oft mehr als doppelt so stark ist.
Die Bewölkung wird in Zehnteln der gesamten Himmelsbedeckung ausgedrückt. Danach
zeigt Lauenburg im Durchschnitt eine Bewölkung von weniger als 6,5. Westlich und
nördlich erhöht sich der mittlere Bewölkungsgrad schnell bis gegen 7,0, um vom
mittleren Holstein ab nordwärts wieder bis unter 6,5 abzunehmen, so daß westlich
von Lauenburg eine schmale Zone besteht, in der übereinstimmend mit dem Verlauf
zahlreicher Pflanzenverbreitungsgrenzen die Belichtung infolge stärkerer
Bewölkung geringer ist.
Die jährliche Niederschlagsmenge in Lauenburg hält sich in mittelhohen Werten.
Im Durchschnitt fallen hier etwa 660 mm Regenwasser, während im größten Teil
Schleswig-Holsteins die Niederschlagshöhe 700-800 mm beträgt. Für die
Entwickelung der Pflanzenwelt ist nicht so sehr die gesamte Regenmenge von
Bedeutung wie vielmehr die Verteilung der Niederschläge auf das ganze Jahr.
Danach zählt man in Holstein jährlich 190-200 Tage, an denen mindestens
0,1 mm
Regen fällt, während im Gebiete südöstlich der Linie Bergedorf, Segeberg,
Neustadt die Zahl der Tage mit mindestens 0,1 mm Niederschlag bis auf
170
abnimmt.
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In Übereinstimmung mit diesen Angaben ist von
Interesse, daß in der Übergangszone vom kontinentaleren zum ozeanischeren Klima
nordwestlich vom Kreise Lauenburg am häufigsten Nebel beobachtet werden.
Durchschnittlich zählt man hier 47 Nebeltage. Infolge der Nordseenähe sinkt die
mittlere Luftfeuchtigkeit im Jahre nirgends bei uns unter 80 %. Bezeichnend ist
für Lauenburg, daß hier in den Monaten Januar, April, August und Dezember eine
um 5-15 % trockenere Luft herrscht als im benachbarten Schleswig-Holstein.
Die durchschnittliche Windrichtung im Jahr ist für Lauenburg Westen. In den
einzelnen Monaten schwankt die mittlere Richtung nur unwesentlich nach Südwesten
oder Nordwesten. Es leuchtet ein, daß diese mit meist bedeutender Stärke und
großer Beständigkeit aus westlichen Richtungen wehenden Winde die Wanderung der
besonders an Windverbreitung angepaßten Pflanzen stark hemmen müssen.
Es ist natürlich schwer, vielleicht unmöglich, jeden einzelnen Klimafaktor in
seiner Bedeutung für die Pflanzenverbreitnug richtig zu bewerten. Man ist
deshalb bis jetzt darauf angewiesen, den gesamten Klimakomplex in seiner Wirkung
auf die Pflanzenwelt zu berücksichtigen. Man versucht deshalb neuerdings, dies
verwickelte System mit seinen gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnissen der
einzelnen Faktoren durch eine übersichtliche Formel auszudrücken. A. Meyer
prägte hierfür kürzlich den sogenannten N-S-Quotienten und versteht darunter das
Verhältnis von Niederschlagshöhe zum Sättigungsdefizit der Luft. Die aus diesem
Ouotienten gewonnenen Zahlen geben einen ungefähren Begriff von der Befeuchtung
eines Ortes.
Berechnet man die N-S-Quotienten für Lauenburg und Schleswig-Holstein, so
ergeben sich für dies verhältnismäßig kleine Gebiet so stark abweichende Werte,
wie wir sie nirgends im norddeutschen Flachland wieder beobachten. Für einzelne
Orte lauten die Quotienten: Hamburg 449, Lübeck 456, Lauenburg a. E.
466,
Rendsburg 553, Westerland 593, Helgoland 598, Meldorf
602, Husum 622 und Kiel
660. Nach der von Nieyer gezeichneten Karte liegt zwischen Husum, Kiel und
Meldorf, also quer durch Schleswig-Holstein. eine Zone mit sehr hohen
Quotientenwerten, die sich zwischen 600 und 700 bewegen. Diese Zone stellt eine
Ansbuchtung eines Klimabezirks mit ähnlich hohen Quotientenwerten dar, der einen
Teil von Irland, Westengland und Westnorwegen umfaßt. Nördlich und südlich
dieser durch Schleswig-Holstein verlaufenden stark feuchten Zone nehmen die
Werte des N-S-Quotienten erheblich ab.
Es ist von hohem Interesse festzustellen, daß der schmale Bezirk mit den hohen
Quotientenwerten dort liegt, wo unmittelbar südöstlich davon eine große Anzahl
Arten die Grenze ihrer Verbreitung findet. Es scheint, als ob sich hier das
große Hindernis befindet, von dem wir oben sprachen, eine schmale Klimaschranke,
vor der ein Teil der hier behandelten Pflanzen auf ihrer Wanderung Halt macht
und hinter die ein anderer Teil zurückgedrängt wurde.
Besser noch als die meteorologischen Daten vermag die Pflanze selber das Klima
ihres Standortes zu kennzeichnen. In klimatisch ungünstigen Gegenden wird eine
Pflanze später ihre Blätter ent-
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falten, zur Blüte und Frucht gelangen und
frühzeitiger zum Winterschlaf rüsten als in klimatisch günstigeren Gebieten. Man
bezeichnet die Lehre von dem zeitlichen Eintritt eines bestimmten
Entwicklungsstadiums der Pflanzen als Phänologie.
In Deutschland sind schon seit einigen Jahrzehnten mit Hilfe zahlreicher
Mitarbeiter umfassende phänologische Beobachtungen angestellt worden, so daß die
aus langjährigen Untersuchungen gewonnenen Mittel brauchbare Werte darstellen,
um ein Gebiet in bezug auf seine Pflanzenwelt klimatisch zu charakterisieren.
Der Einzug des Frühlings wird durch den Beginn der Apfelblüte angedeutet. Er
vollzieht sich in Lauenburg in der Woche vom 7.-13. Mai, nördlich der Linie
Glückstadt-Lübeck 8 Tage später und nördlich der Linie Sylt-Hadersleben nochmals
8 Tage später. Als Frühsommer-Datum eines Ortes gilt der Tag, an dem im Mittel
die Blüte des Winterroggens einsetzt. Sie beginnt für Südost-Stormarn und
Lauenburg vom 27. Mai bis 2. Juni, für den mittleren Teil Schleswig-Holsteins am
3.-9. Juni, in den Küstenbezirken und in Nordschleswig erst zwischen dem
10. und
16. Juni. Die Roggenernte, die den Hochsommer anzeigt, beginnt in Lauenburg in
der Woche vom 17.-23. Juli und verzögert sich, je weiter wir uns den
Nordfriesischen Inseln und Nordschleswig nähern, um über drei Wochen. Die
Fruchtreife der Roßkastanie kennzeichnet den Einzug des Frühherbstes. Im größten
Teil Schleswig-Holsteins liegt dieser Termin in der Zeit vom 17.-23. September,
nur im südlichen Lauenburg tritt er 8 Tage früher, an der Unterelbe
8 Tage
später ein. Diese Daten sind gleichsam Bestätigung der klimatologischen
Beobachtungen; sie zeigen, welche überraschenden Unterschiede in der Entwicklung
der Pflanzenwelt in den einzelnen Teilen der cimbrischen Halbinsel bestehen.
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In knapper Darstellung ist versucht worden, die jetzigen Wege der
floristischen Forschung, die pflanzengeographischen Grundzüge und die
Hauptprobleme der Flora des Kreises Herzogtum Lauenburg herauszuheben. In der
Lösung dieser Probleme aber stehen wir noch am Anfang. Manche Einzelfrage ist
noch zu beantworten. Hier sind z. B. noch eingehend die unter dem Einfluß des
Klimas stehenden Bodenverhältnisse genau zu untersuchen. Vielleicht ist es
möglich, in Lauenburg schwarzerdeähnliche Bodenbildungen festzustellen, wie man
sie im Trockengebiet des Landes Oldenburg und der Insel Fehmarn beobachtet hat.
Eine Fülle von Aufgaben drängt sich dem durch Lauenburg wandernden Botaniker
auf, der nicht die Einzelpflanze betrachtet, sondern den Bedingungen
nachzuspüren versucht, unter denen sie wächst. Es sind Aufgaben, deren
Ergebnisse letzten Endes nicht allein der floristischen Heimatforschung, sondern
der heimischen Land- und Forstwirtschaft zugute kommen. Schon jetzt möchte ich
behaupten, das Geheimnis der eigenartigen Siedlungsgeschichte der Pflanzen- und
Tierwelt auf der gesamten cimbrischen Halbinsel und eines Teils von Skandinavien
liegt in Lauenburg verborgen.
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