Die Balhornsche Buchdruckerei zu Lübeck nahm
im 16. und 17. Jahrhundert eine
beherrschende Stellung in unsrer Gegend ein. Dort wurde z. B.
die Leichenpredigt für den Bürgermeister Andreas Karstedt zu
Ratzeburg gedruckt (1600), was freilich dem
Magister Schwan (Cygnus), der den Druck in der Hansestadt
veranlaßt hatte, den Zorn der Bürger eintrug, die bei der schon
immer bestehenden
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Spannung zwischen Ratzeburg und Lübeck lieber
gesehen hätten, wenn die Predigt in Lauenburgischen Landen gedruckt worden wäre.
Ein halbes Jahrhundert später hatte Ratzeburg eine eigene Druckerei. Der Mann,
der sie begründete, war ein Buchhändler und Bürger zu Lübeck, ULRICH WETSTEIN.
Als Raum für den Betrieb ergab sich die alte Kapitelsstube des Domherrenstifts,
das durch den Westphälischen Frieden (1648) erledigt war. Nicht
also der Lauenburger, sondern der Mecklenburger Herzog stattete den Unternehmer
mit einem Privileg aus, das folgende Punkte enthält:
1. Dem "ehrsamen, lieben getreuen" Wetstein wird verwilligt, auf
dem Domhofe zu Ratzeburg die Buchdruckerei in dem alten Kapitelshaus nebst dem
Gange, "so ietzo zu einer Speisekammer gebrauchet wird", aufzurichten.
2. Die Familie des Unternehmers samt dem Personal und
Arbeitnehmern soll von jeder Steuer befreit sein.
3. Dem Buchhändler wird ein Gang bis an den See zwischen den
beiden Häusern, die z. Zt. von dem Rat Johann Patschen und dem Organisten Carl
Andrä bewohnt werden, zum Transport der Drucksachen bis zum Schiff, wie auch
"das alte verfallene unten am Wasser liegende Backhauß" zur Verwahrung des
Holzes überlassen.
4. Der Buchhändler erhält für fünf Jahre jährlich 12
Faden Holz, die er freilich selber "hauen und führen" lassen muß. Nach Ablauf
der 5 Jahre hat er pro Faden Holz 3 Mark zu zahlen.
Für dieses Entgegenkommen der Regierung ist er jedoch verpflichtet, die ihm
überlassenen Räume im baulichen Stande zu erhalten. (N.B. Diese Bestimmung hat
man später als schwere Last empfunden.)
5. "... hat Er sich verobligirt, nicht allein die Sachen, so wir
an Edicten, Mandaten, Pässen und dergleichen drücken und publiciren laßen, ohn
entgelt und frey (nur daß Ihm das benöhtigte Papier darzu verschaffet werde)
zudrücken, Besondern auch Unß von denen Sachen und Büchern, so Er alhier wird
aufflegen und drucken laßen, ein oder zwei Exemplar ohn entgelt abfolgen
zulaßen."
Das Privileg wurde am 15. Dezember 1662 auf dem
Domhofe von Herzog Christian vollzogen und ist im Original in den Akten der
Ratzeburger Domprobstei vorhanden.
Wetstein, der ein Buchhändler, jedoch nicht Buchdrucker war, ist lediglich als
der Unternehmer des Betriebes und Verleger der Bücher anzusehen. Er berief
NICLAS NISSEN aus Schleswig zum Faktor. Dies geschah am 25. März
1663 zu Braunschweig, wo Nissen augenscheinlich als Druckergeselle
arbeitete. Wetstein war ein "junger angehender Hauswirt", der sich anfänglich
nur mit Hilfe seines Vaters und Schwiegervaters Michel Volck in Lübeck zu halten
vermochte. Er schildert selbst in einem Schreiben an die Direktion des
Fürstentums Ratzeburg seine Geschäftsnöte und läßt uns dabei einen Blick in
seinen Buchhandel tun, wie er Ostern 1666 zu Frankfurt a. M. eine
"ziemliche starcke Misse getan", die ihn viel Geld kostete, und wie er seinen
Buchhandelgesellen "mit Büchern ausgeschickt, in Hoffnung, durch Gottes Segen
etwaß zu lösen". So schwer der Anfang auch war, so hoffnungsfreudig ist der
junge Unternehmer. Den Wert seiner Druckerei bemißt er mit mindestens 2000
Reichstalern und den Buchhandel hat er mit "so vielen raren und
köstlichen Büchern angefüllt, daß Ich, wo mich der liebe Gott für Unglück
bewahret, ein guth Stück Geldeß darauß zu machen, vndt jederman ehrlich zu
begegnen verhoffe". Der Anfang war um so schwerer, als er mit seinem Faktor
Niclas Nissen in Differenzen geriet, die zu dessen zeitweiliger Entlassung
führten. Einer der Gründe des Zerwürfnisses waren Lohnforderungen des Faktors.
Indessen schlossen beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Frieden. Es scheint, daß
wirtschaftliche Schwierigkeiten und die Einheirat Nissens in die Wetsteinsche
Familie schließlich den Buchhändler Wetstein dazu nötigten, die Druckerei dem
Druckergesellen zu überlassen, der anscheinend von vorn herein danach
getrachtet, Eigentümer des Unternehmens zu werden, und je länger je mehr den
Erwerb desselben betrieb. Das Privileg erhielt er am 29. Juli
1669.
Ein Verzeichnis der unter Nissen gedruckten Schriften und Bücher
ist uns leider nicht bekannt. Es steht indessen fest, daß die Domdruckerei neben
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den von der Herzoglichen Regierung
aufgegebenen, behördlichen Sachen, die gratis anzufertigen waren, sich gerne mit
religiösen Druckschriften befaßte. So druckte Nissen 1666 den
inhaltreichen Nachruf und die Leichenpredigt für den Ratsherrn, Oberförster a.
D. und Meckl. Amtmann Carsten Clauß; 1683 das Buch von P. Sohr,
Musikalischer Vor[s]chmack;
*) 1678 des Hamburger Pastors Lic.
Wolfs "Erläutertes Christentum", mit ausgezeichneten Kupferstichen versehen;
1684 die Schmähschrift des Prof. Pastors Joh. Buno in Lüneburg: Der
Stadt Lüneburg entdeckter und vorgestellter Ignorant Magister Chr. H. Lauterbach
(dem 30 Fehler in einer von ihm herausgegebenen Schrift
nachgewiesen werden, "woraus denn klärlich zu sehen, wie übel ihrer Schule mit
diesem Rectore, der weder Vocabu[l]a, noch
Grammatic recht gelernt, gerahten").
1688 verlegte Nissen neu Joachim D. theol. Lütkemanns, des
Generalsuperintendenten in Wolfenbüttel "Apostolische Aufmunterung zum
lebendigen Glauben", wovon ein Exemplar im Heiligen-Geist-Hospital zu Ratzeburg
aufbewahrt wird. 1681 druckte er im Aufträge der Lauenburgischen
Regierung die Hofgerichtsordnung des Herzogs Julius Franz. 1670
verlegte er den "Abdruck" der Aktenstücke, die sich auf Lauenburgs Anrechte an
Lübeck und Ritzerau beziehen, mehrfach auch die Contributions-Edicte des Herzogs
zu Mecklenburg. 1668 kam ein mit feinen Stichen und Verzierungen
versehenes, vom büchertechnischen Standpunkte aus tüchiges Werk heraus mit dem
langatmigen Titel: "Auff Eines E. Rahtes der Kayserlichen und des Heiligen
Römischen Reichs Freyen Stadt Lübeck Im druck außgelassenen, also genandten
Unterricht und Erklärung: Der Zunften der Schonenfahrer und Consorten daselbst.
Abgenöthigter GEGENBERICHT WIEDERLEG- UND ERKLÄRUNG." Daß dieser Gegenbericht
der Schonenfahrer nicht in Lübeck, sondern hier gedruckt wurde, ehrt einerseits
den hiesigen Leiter des Betriebes, andererseits erklärt es sich wohl daraus, daß
die Lübecker Drucker, abhängig vom Rat der Stadt, nicht ein Buch zu drucken
wagten, das sie mit dem allgewaltigen Senat hätte in Konflikt bringen können.
Nissen verschmähte es nicht, auch ohne Wissen und Willen der Regierung,
gelegentlich ein Buch ohne Angabe des Verlegers und Druckers herauszugeben, um
ein Geschäft damit zu machen.
Moderne Wiedergabe der Titelseite von: "Historia Syncretista,
1685,
ohne Ort, ohne Verlagsangabe."
So hatte er 1685 von dem blinden Magister Johan
Schmidt in Lübeck, danach in Hamburg wohnhaft, den Auftrag erhalten, ein vom
Herzog Georg Wilhelm zu Braunschweig und Lüneburg in seinen Landen verbotenes
Buch neu zu drucken. Es war die Historia Syncreistica des Wittenberger
Theologieprofessors Dr. Abraham Calovius, "mit vielen sowoll unserm Fürstl.
Hause, alß unser Fürstl. Julius universität zu Helmstedt und deren vormahligen
auch jetzigen Professoribus Theologiae höchst verkleinerlichen injurieusen und
zum Theil gantz ärgerlichen beschuldigungen", wie der Herzog jenes "schädt- und
ärgerliche Buch" bezeichnete. Schon war es in Lübeck verbreitet. Obwohl der
Drucker nicht genannt war, so hatten die Lüneburger bald Niclas Nissen als den
Schuldigen entdeckt und ihn bei seinem Herzog zur Anzeige gebracht. Die
gerichtliche Untersuchung ergab, daß Nissen für jedes Exemplar 1
Taler erhalten hatte und kein Buch mehr in seinen Händen war. Wie eine Ausrede
klingt die Verteidigung, er habe den Titel erst nach dem Druck des Buches
erfahren, so daß er "nicht gewußt, was es zu bedeuten und in sich gehabt hette".
Selbstverständlich hatte er nach seiner Angabe "sein lebtag nichts gehöret"
davon, daß das Buch konfisziert sei. Nachdem Nissen mit "Hand und Mund"
versprochen, das Buch nicht wieder zu drucken, hielt es die Mecklenburgische
Regierung für nötig, dem Lüneburger Herzoge zu versichern, "daß es uns herzlich
leidt ist. daß dieses Ohrts dergleichen Buch, wodurch Ew. Fürstl. Durchl. einige
deplaisir, veruhrsachet worden, gedruckt". Für die Kirchengeschichte
Niedersachsens, insbesondere den sogenannten synkretistischen Streit, bildet
diese Akte der Domprobstei eine wertvolle Beigabe. Es sei hier nur angemerkt,
daß CALOV in Wittenberg den STRENG lutherischen, die UNIVERSITÄT HELMSTEDT
(CALIXT) den toleranten, MILD lutherischen Standpunkt gegenüber den Römischen
und Reformierten vertrat. Obwohl nun die Lüneburger und Mecklenburger strenge
Lutheraner waren, brachten sie es aus persönlichen Gründen fertig, das Buch
eines Lutheraners zu verbieten. In solchem Lichte erscheint des Druckers
Handlungsweise entschuldbar.
Zu Nissens Zeit hatte sich 1668 auch ein "Buchführer", d. h.
Buchhändler auf dem Domhof etabliert. Christoffer Erich Eoel, ein Pastorensohn,
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*) Vollständiger Titel: "MUSIKALISCHER VORSCHMACK DER
JAUCHZENDEN SEELEN IM EWIGEN LEBEN. Das ist: Neu außgefärtigtes, vollständiges,
und mit Fleiß durchgesehenes, nützliches Evangelisch-Lutherisches Gesang-Buch,
darinnen Herrn D. Lutheri und aller andern Geistreichen Gottseeligen, Alten als
Neuen Lehrer wohlgesetzter Gesänge, an der Zahl über 1100 Texten, in richtiger
Ordnung befindlich, und mit Discant und Baß überzeichnet. Allen Christlichen
Herzen zu sonderem Gebrauch, in Freud' und Traurigkeit, in den Kirchen und zu
Hause, sich damit aufzurichten, zu gut, mit allem Fleiß verfasset, neben dreyen
nützlichen Registcrn, einem
Anhange Fest- und Sonntäglicher Collecten durchs ganze Jahr, und einem schönen
Gebet-Buch, Ans Licht gegeben, auch mit 32 Schriftmäßigen Sinn-Bildern bezieret
von PETER SOHREN, bestalltem Cantore und Organisten der Evangelischen
Christlichen Gemeine zum H. Leichnam in Elbing. HAMBURG, in Verlegung Heinrich
Völkers.
RATZEBURG, gedruckt bei Niclas Nissen, ANNO 1683."
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der in erster Ehe mit der Tochter eines
Lauenburgischen Rentmeisters (Becher),
in zweiter Ehe mit Sibylla Hedwig, des Herzogl. Lauenburgischen Silberdieners
Johann Selschofft Tochter, verheiratet war und am 2. Dezember
1686 starb. Nissens Druckergesell war der mit der Tochter des Domorganisten Androae
verheiratete (13. 8. 1672) Tobias Schmidt.
Fast dreißig Jahre lang hat Niclas Nissen den Druckerei- und Verlagsbetrieb geleitet Wenn man die wenigen im hiesigen Landes- und Domarchiv
ausbewahrten Bücher liest, so freut man sich der geschmackvollen Ausstattung
derselben und der tüchtigen Arbeit, die der auf der Höhe seiner Kunst stehende
Mann geleistet hat.
Aber seine Familiengeschichte wissen wir. daß sein Vater Hans bereits in
Schleswig gestorben war. als er hier in des Mecklenburgischen Rates Neumann
Hause eine Tochter des hiesigen Maurermeisters Adam Wetstein, offenbar eines Verwandten des Gründers der Druckerei, seines
Chefs, heiratete
(1. 10. 1667). Seine Tochter Elisabeth Judith war seit dem 24. 9. 1691 mit dem
Lüneburger Bürgerssohn und Drucker Friedrich Johann Ortmann verheiratet.
Sein ältester Sohn war der 1668 hier geborene Johann Heinrich. Bei seinem
Tode hinterließ Niclas Nissen sechs Kinder. Aber das Beste, was er seiner Frau
vermachte, war die Einnahme von einer "berühmten" und "florisanten" Druckerei,
wie diese in den Akten wiederholt bezeichnet wird.
Niclas Nissen starb am Tage der Reformation 1688.
In der Zeit, als Nissens Witwe die Druckerei durch ihren Schwiegersohn
Ortmann, ihren Faktor, weiterführte, wurde DER CATECHISMUS D.
Mithobius im September 1690 neu aufgelegt IM AUFTRAGE DES SENIORS.
Die Auflage erfolgte in 1000 Exemplaren, von denen acht Jahre
später noch 258 vorhanden waren. Außer den Stiftgemeinden waren
Käufer: der Hauptmann Meder, der Pastor Suhrius zu Rehna, der Generalmajor Halberstadt,
der Becker Zacharias Vogel in Ratzeburg, der Buchhändler Böckmann in Lübeck,
der Cantor in Sternberg u. a.
Der Probst Gutzmer verwahrte bei der Belagerung 1693 die Katechismen
in der Kapelle des Doms, was verhängnisvoll werden sollte. Er berichtet:
Das ao 1693. ETLICHE TAGE VOR DER WIRKLICHEN BOMBARDIRUNG der Stadt Ratzeburg,
wie ich mit meinen eigenen Mobilien, und unter
andern auch mit den Catechismis Mithobii, aus meinem Hause in die Kirch
geflüchtet, VIELE EXEMPLARIA DAVON distrahiret und VERLOHREN GEGANGEN sind. Wie dan sowol
VOR als IN der Belagerung die Lüneburgische
Land Militz nicht allein mein Hauß geplündert, sondern auch die Capell in
der Kirchen, worin ich meine Bibliothec und besagte Catechismus-Exemplaria
verwahret hatte, mit Gewalt aufgebrochen und spoliiret haben. Und, wie ich
nachhero erfahren, so haben Sie, soviel Sie davon weggeraubet gehabt, nebst
vielen Sachen von meinen Manuscriptis muhtwilliger weise zerrißen, und theils
in ihre Schießgewehre gestopft. Als ich nun, nach getroffenem Frieden die
Exemplaria von dem Catechism. Mithobii nachgezählet, habe ich 96 Exemplaria
davon vermißet, ohn das ich hin und wieder zerstreueter Weise einige eintzelne
Bogen gefunden habe, welche aber auch eins theils zur Unfläterey mißbraucht
waren.
Nächst dem Katechismus druckte der Schwiegersohn der Witwe Nissen
Friedrich Johann Ortmann, nachmals Buchdrucker in Lüneburg, die
GENEALOGIE des Lüneburger Professors Georg Lohmeyer, die dieser für
den studierenden Adel geschrieben hatte und in 2000 Exemplaren auflegen ließ.
Ehe das Buch fertiggestellt war, starb der Verfasser. Die Witwe Catharina
Elisabeth geb. Sänke bezahlte die Rechnung und hat offenbar durch den Vertrieb der Bücher an die adligen Junker, die in Lüneburg die höhere Schute
besuchten, einigen Verdienst gehabt. Vermutlich ist in dieser Zeit auch Dr.
Müllers Postille "Herzspiegel" gedruckt worden, die später u. a. vom Domprobst bestellt wurde.
Man muß der Witwe Elisabeth Nissen nachrühmen, daß sie mit viel
Tatkraft und Mut verstanden, sich mit ihren 6 Kindern durch die
Druckerei
zu nähren. Sie hatte dabei die Freude, daß der Lüneburger Bürgerssohn
Ortmann eine ihrer Töchler ehelichte, während er in hiesiger Druckerei der
Schwiegermutter zur Seite stand.
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Jedenfalls wurde das Geschäft auf alter Höhe
erhalten, bis die Witwe
abermals ehelichte nämlich den zweiten Inhaber der Druckerei: Sigismund
Hoffmann. Die Ehe war durch ein Kind, einen Sohn, gesegnet, aber voll
Leid, nicht ohne des zweiten Mannes und der Kinder Schuld. Was Niclas Nissen erworben, wurde allmählich verdorben. Sic transit gloria mundi. So
ging dahin der Ruhm einer "florisanten" Buchdruckerei.
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