Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1929


Die Buchdruckerei auf dem Domhof zu Ratzeburg.

Von FISCHER-HÜBNER, Pastor in Ratzeburg.

II. Ein Buchdruckerschicksal.
 

Der erste Buchdrucker auf dem Domhofe war Niclas Nissen gewesen, der das Geschäft auf eine gewisse Höhe gebracht hatte. Nachdem es dann dessen Witwe drei Jahre lang geführt hatte, heiratete sie (1. Dezember 1691) zum zweiten Male, und zwar den Buchdrucker Sigmund Hoffmann, der den Betrieb übernahm. Er hat sich dadurch einen Namen gemacht, daß er zwei Bibeln mit Bildern druckte, die plattdeutsche und die hochdeutsche Lüneburger. Nach Hellwig wurde erstere 1692 vollendet, die andere, von der das Heilige-Geist-Hospital in Ratzeburg ein sehr gut erhaltenes Exemplar besitzt, 1695. Bevor er die erste Bibel druckte, bat er den soeben zur Regierung gekommenen Herzog Friedrich Wilhelm zu Mecklenburg um Konsens und Privileg in einem Schreiben, in dem es heißt:

Nun ist aber unter andern Göttlichen Wolthaten auch dieses höchst Preißwürdig, daß unter E. Hochfürstl. Durchl. gnädigsten Schutz an diesem Ort eine feine und bis daher durch Göttliche Gnade beständig conservirte Druckereh sich befindet, da dan allewege meine schuldigste Absicht billig dahin gerichtet ist, daß aus derselben ALLERHAND NÜTZLICHE UND ERBAULICHE SCHRIFTEN hervor kommen mögen. Wann ich aber in gleichmäßiger intention begriffen bin, bei E. Durchl. Von Gottes Gnaden zu des gantzen Landes höchsten Freud Vergnügen, erst angetretenen ... Regierung, eine Unterthänigste Memoriam per Typos zu stifften, und die Heil. Bibel in Folio mit gantz neu
gegoßener reinlicher Schrifft und zierlichen Kupfern, deren gleichen noch niemahls in vorigen Zeiten in Mecklenburg herausgekommen, aufs meine Kosten abzudrucken und zu verlegen, als gelanget an E. Hochfürstl. Durchl. mein Unterthänigstes Suchen, dieselbe geruhen gnädigst zu verstatten, daß unter dero Gnaden Flügeln diese allererste heilige Frucht ans Tagelicht befodert werden möge, und zu demselben dero Fürstl. consens und Privilegium, durch deßett Abdruck und stralenden Vorschein das intentionirte nützliche Bibelwerk umb so viel mehr illustriret, und dero gesampten Untertänigsten Landen und Leuten recommendabel gemacht werden wird, gnädigst zu ertheilen. Wie nun dieses ein sonderlich zu Gottes Ehren. Erhaltung wahrer Gottseligkeit, und fortpflantzung reiner Lehre, auch nicht minder zu Unsterblichem Ruhm E. Durchl. aussehendes Werk ist, also getröste mich gnädigster Erhörung.

Man sieht, Sigismund Hoffmann war anfänglich ein geschäftstüchtiger, aber auch der reinen lutherischen Lehre zugetaner Mann, dessen Schwäche freilich ein von Eitelkeit geleitetes Strebertum war. Das erkennt man noch deutlicher, wenn man in der 1695 nach dem Lüneburger Vorbild gedruckten hochdeutschen Bibel das Titelblatt und den zwei Folioseiten umfassenden erklärenden Text dazu auf sich wirken läßt. Die Redeweise erscheint uns freilich mitunter ergötzlich, wenn der Verleger das von ihm gedruckte Buch als "das neu aufpolierte Schwert des Herrn" bezeichnet, das er den fünf Hauptkirchen Hamburgs anheften möchte. Die Hansestadt stellt er in Bild und Wort als einen Berg Zion dar, von wo die Bibel in alle Lande leuchtet und "strahlet bis an der Welt Ende". Hamburg hat den Ruhm, trotz der von allen Seiten anstürmenden Feinde der Bibel den Schatz des reinen Worts bewacht und behalten zu haben. Interessant ist, auf dem Kupferstich die verschiedenen Widersacher, nämlich die Papisten, die Vernunftchristen, die Atheisten, die Mystiker, die das innere Licht gegen das Wort ausspielen, und die Buchstabentheologen,, die um die Hülsen kämpfen, zu betrachten, wie sie der Sculpteur Winterstein dargestellt hat. In Hamburg sind die Kernchristen, die den Kern der Bibel) nämlich den Katechismus, treu bewahren. Diese Widmung Sigismund Hoffmanns wirft zugleich Helles Licht auf den Glaubensstand der hiesigen Landeskirchen. Eben (1690) war in der Ratzeburger Druckerei der lutherische Katechismus des Mecklenburgischen Generalsuperintendenten D. Mithobius (1650) neu verlegt worden. Was von Hamburg gilt, das hat gleiche Bedeutung für Lübeck, Lüneburg, Lauenburg und Mecklenburg, wo man auf Bibel. Katechismus und Luthers reiner Lehre das Kirchenwesen aufbaute.

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Der Herzog schenkte für die Widmung der Bibel 40 Reichstaler, während die Kirche bezw. das Hospital zum Verlag 1783 Rtl. 24 Silbergroschen lieh. Die Kupferstiche wurden in Hamburg, das Einbinden in Lübeck besorgt. Der Rat der Stadt Hamburg zahlte 75 Rtlr. für 42 Exemplare, während sonst das Stück 1 Rtlr. kostete. Jedenfalls machte der Verleger ein gutes Geschäft, worüber der damalige Domprobst schreibt: "das er etliche Jahr mit allen den Seinigen von dem Bibelwerk gelebet". Später jedoch erwies sich das Bibelgeschäft nicht mehr so günstig, ja er kam sogar deswegen in Zahlungsschwierigkeiten, so daß er dem Armen-Hospital und der Kirche die von diesem geliehene Summe schuldig blieb. Der Domprobst urteilt über die Angelegenheit 1711: ... WEIL ER ZU ANFANG MIT DEN BIBELN GAR ZU HOCH HINAUSZGEWOLLT, auch sonsten nicht recht damit Hauß gehalten", so konnte sich das Bibelgeschäft nicht rentieren. Die Regierung sah sich schließlich, um die Hospital- und Kirchengelder zu retten, genötigt, die vorhandenen Bibeln an einen Bürger in Lübeck gegen Barzahlung zu verhandeln. Aus den Akten geht übrigens hervor, daß mindestens 2300 Bibeln die Ratzeburger Presse verlassen haben.

April 1702 wurde der Katechismus neu aufgelegt, und zwar zu 3000 Stück. 100 Stück gebundene Exemplare kosteten 16 M. 2 ß, das einzelne 3 ß. In wenigen Monaten waren die Büchlein in den Gemeinden des Stifts abgesetzt, aber auch Pastor Nölting-Mustin, der Maurermeister Hans Medler in der Stadt, der Pastor Joachim Flöge in Plate waren Käufer.

1703 wurde dem Druckereibesitzer Hoffnung gemacht, "ein wohl eingerichtetes Gesangbuch in Verlag und unter die Presse" zu erhalten, das im ganzen Lande eingeführt werden sollte, da die Einführung eines Einheitsgesangbuches notwendig war; jedoch durch den Tod des Probst Gutzmer geriet die Herausgabe eines solchen für lange Zeit ins Stocken, was auch zum Schaden des Druckers war, der seine Kirchenschulden nicht abtragen konnte. Bei Gutzmers Tode wurden 300 Stück Carmina bestellt, wofür 12 Rtl. gezahlt wurden.

In seinem Betriebe beschäftigte er 1695 an zwei Pressen fünf Gesellen, später ging der Betrieb so zurück, daß nur noch ein Geselle beschäftigt werden konnte.

Die Druckarbeit verursachte manche Beschwerde, weil es noch keine Pressefreiheit gab. 1693 erhielt er von Pastor (?) Franciscus Wäger in Lübeck den Auftrag, eine Schmähschrift desselben, Christl. Sendschreiben betitelt, zu drucken. Schon waren 100 Exemplare an den Verfasser abgegangen, als plötzlich Doktor Gericke aus Lübeck in der Domdruckerei erschien und den Drucker zur Rede stellte. Da dieser mit der Wahrheit nicht herauskam, so mußte er durch das Gericht zum Geständnis genötigt werden. Es scheint, als seien in der Schrift der Rat der Stadt Lübeck und auch Doktor Gericke beleidigt worden.

Größere Verlegenheit erwuchs ihm daraus, daß er einen Tractat des Mennonitenpredigers Gerhard Rosen in Altona druckte. Diese Schrift ist die wesentlichste Quelle für die Beziehungen der Mennoniten zu dem Gute Fresenburg b. Oldesloe, wo einst die verfolgten Taufgesinnten Zuflucht fanden.*) Wie konnte Hoffmann es wagen, in einem rein lutherischen Lande, und dazu in einer ev.-luth. DOMbuchdruckerei, die von Staat und Kirche abhängig war. die Schrift eines "Sektierers" zu drucken, noch dazu in 1500 Exemplaren, die im Nu nach der Schweiz, Frankfurt a. M., Nürnberg, vor allem Hamburg und Altona abgingen, so daß kaum eins mehr aufzutreiben war, als das Herzogliche Gericht 2 Monate später danach forschte. Man machte ihm zum Vorwurf, ohne besonderen Konsens des Herzogs, ohne Erlaubnis des Präsidenten und ohne Zensur des Präpositus die Schrift des Sektierers gedruckt zu haben, worauf er erwiderte, er habe stets FREI drucken können. Als man ihn fragte, ob er nicht Strafe verdient hätte, weil er "solches ärgerliches Buch heimlich gedruckt hätte", redete er sich damit heraus, er habe "nach seiner Einfalt nicht merken können, daß in diesem Buche etwas ärgerliches vorhanden wäre gewesen". In Wirklichkeit stand es um sein Geschäft so schlecht, daß er diesem augenscheinlich durch das Hamburger Angebot glaubte aufhelfen zu müssen, da er angeblich in manchem Jahre kaum 20 Taler verdiente und "ohnedem schon crepiren" müßte. Wie
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*) Näheres darüber in der Zeitschrift der Zentralstelle für Niedersächsische Familiengeschichte, Hamburg, VII. Jahrg. Nr. 3 S. 43. Der ev. luth. Kirche angehörige Nachkommen des G. Rosen sind in Ratzeburg heute ansässig.

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sollte er da die ihm angedrohte Geldstrafe von 20 Talern bezahlen! Glücklicherweise wurde ihm diese erlassen, jedoch ihm anbefohlen, jegliche Druckerarbeit zur Zensur und Konzession einzureichen. Es hätte nicht viel gefehlt, und Sigismund Hoffmann hätte sein Privileg verloren. Übrigens hatte der Prediger Rosen dafür gesorgt, daß den "Thumbsbedienten und den Lüneb. Ministern in Ratzeb." je ein Exemplar überreicht worden war.

Die Sache hatte für den Probsten Guhmer noch ein peinliches Nachspiel. Ihm, als dem verordneten Inspektor des Religions- und Kirchenwesens, wurde der Auftrag von der Herzoglichen Regierung, darüber zu berichten, warum er den Druck des Traktates "wider alles Gewissen" nicht verhindert hätte. Wichtig ist, daß er ausdrücklich erklärt, er würde vom Amts und Gewissens wegen "ein solch Ketzerisches Scriptum" niemals toleriert, sondern vielmehr zurückgewiesen haben, falls er auch nur EINEN Buchstaben davon zu Gesicht bekommen hätte. Überhaupt sei es ein Mißstand, daß "alles und jedes" ohne Zensur hier gedruckt werde, der unverzüglich abgestellt werden müßte. Gutzmer gibt also der laxen Regierung an der Affäre die Hauptschuld und bekräftigt seine Abneigung gegen die Mennoniten. Für ihn gab es keine Toleranz. Dann aber
schiebt er den Rektor vor, der gewöhnlich die Korrekturen der Drucksachen las, und tadelt, daß dieser als ein Theologe und Untergebener "dergleiche Ketzerische und ärgerliche Sachen" nicht seinem Vorgesetzten vorgelegt habe.

Auch der Rektor hatte sich zu äußern. Petrus Winter - so hieß der Leiter der Domschule - wußte sich zu wehren. Seine Antwort ist in vieler Hinsicht bemerkenswert.

"Zwar befinde ich mich. - so schreibt er - als ein Theologus, in meinem Gewissen überzeuget, daß die Mennonisten, so scheinheilig sie auch sind, Heterodoxi und Fanatici seyn; Ob aber ihre einfältigen Schrifften deßwegen in KEINER LUTHERISCHEN, in specie auch in hiesiger, Druckerey auff zu legen oder ans Licht zu befodern seyn, absonderlich, wenn sie 2) ÎHRE NAHMEN ZUGLEICH KUND MACHEN und keinen unserer Orthodoxen Lehrer öffentlich angriffen, davon muß ich wol bekennen, daß in meinem Gewissen ich biß dato noch keine Überzeugung habe: Vornehmlich und 3) weyl mir in dergleichen Fällen kein Ziel noch Maaß jemahls gesetzet, eben allhier auch wol PAPISTISCHE UND CALVINISCHE Sachen ohne Widerrede gedrucket, und letzteres von mir ohn eintzigen bißher geschehenen Anspruch gecorrigiret ist, da hergegen 4) offenbahr lästerliche und schädliche Dinge ich nicht allein zu corrigiren mich proprio motu geweigeret, sondern auch zu drucken meinem Principalen treulich widerrathen habe. Ob aber derselbe auch 5) wenn ich gleich diesen TRACTAT NICHT HÄTTE CORRIGIREN und also nach schlechtem meinem Vermögen mit befodern wollen, ihn deßwegen würde nachgelaßen haben, davon muß ich billich Zweiffel tragen."

Beide Verantwortungen hatten Erfolg. Die Regierung maßregelte nicht die Diener der Kirche, sondern den Drucker (18. Januar 1703). Indessen passierte es sieben Jahre später, daß Hoffmann nochmals eine nicht zensurierte Schrift heimlich druckte. Ein achtzigjähriger, gelehrter Mann in Lübeck, offenbar ein Pietist, weil er auf die Neugeburt Wert legt, hatte 1709 ein Manuskript übergeben, in dem "sehr gefährliche, den Statum Civilem gantz umstoßende Irrthümer enthalten" waren. Dem Verfasser wird vorgeworfen die Kritik des Abendmahls in unsrer Kirche, die Verwerfung der Augsburgischen Konfession, die Verdammung jeglichen Krieges, daß ein Kriegsgesinnter und Soldat nicht würdig zum Abendmahl gehen könne; er bestreitet auch, daß Fürsten und Herren könnten Gesalbte Gottes genannt werden; der Stand der Herzöge sei aufzuheben. Der Traktat ist Memoriale pium et necessarium ex Joh. 6 v. 21-56 betitelt und ist eine Ergänzung zu des Verfassers im vorigen Jahre erschienenen Meditatio ex Joh. 6 v. 54-56. Selbstverständlich waren die revolutionären Gedanken des "alten verwirrten" Mannes, im Zeitalter des Staatsabsolutismus und des Staatskirchentums so unmöglich, daß, da noch im letzten Augenblick vor Abgang der Schriften nach Lübeck ein Verräter dem Domprobst Mitteilung zugehen ließ, dieser das Gericht auf den Fall aufmerksam machte und so die Schrift nicht herauskam.

Diese Episode aber läßt vermuten, in welcher unglücklichen, pekuniären Lage der "Imprimeur" sich befand, wohin er freilich nicht ohne eigene Schuld geraten. Er war den Verlegern nicht gebührend begegnet, er und die Seinen ver-

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standen nicht, Haus zu halten, zumal sie dem Trunk und Spiel ergeben waren; Zinsen waren neun Jahre lang nicht gezahlt, in einem Kruge zu Ratzeburg machte er Schulden, er versuchte, Lettern, die an die Domkirche verpfändet waren, nach Lüneburg zu entführen usw. Der Herzogliche Rat Sebastian Meier schildert in einer Anzeige vom 14. August 1710 in sehr temperamentvoller, erregter und derber Art das "epikurische" Leben der Druckerfamilie, "da der alte Kerl wie auch der Sohn täglich sauffet, spielet und ein epikurisches Leben führet". "Daß dieses gesinde gestohlen, wird dem H. Probst Kohlreiffen annoch erinnerlich sein, maassen vor etlichen fahren aus den ... aus dem Kreuzgang viele Pfunde blei ausgeschnitten, und verkauftet worden. Der Canzleibohte Dieterich Jonas berichtet, daß vor 8. Jahren auff dem Kreuzgang alle Löcher mit
hölzernen Thüren versehen gewesen, es hätte aber dieses lose gesinde solche Thuren verbrant, die Hacken, Krampen, und anwürffe verkaufft." So war die ehedem berühmte Druckerei "in äußerste decadence" geraten und in den letzten Jahren "fast stille" geworden. Der Drucker aber und seine "fast schädliche" Familie waren wegen Diebereien und anderer Laster schließlich so berüchtigt, daß die Regierung ihm die Konzession entzog. Zu seiner Entschuldigung muß freilich gesagt werden, daß Hoffmann bei seiner Heirat mit seines Vorgängers Witwe eine große Schar Kinder mit in die Ehe nahm und daß die Druckerei bei dem Bombardement von 1693 "hauptsächlichen schaden" erlitten, der mit "unersätzlichen Kosten" repariert werden mußte, und daß er damals 18 Wochen lang nichts hatte verdienen können. Dennoch wirkt der Umstand für Hoffmann unangenehm, daß er auf der einen Seite ein christlicher Charakter sein will, wie er solches in seiner Widmung der Bibel ausdrücklich bezeugt, andererseits aber mehr und mehr einem unmoralischen Leben verfällt, so daß er schließlich mit Schimpf und Schande abziehen muß, ein elender Bankrotteur! Als ein alter, gebrechlicher Mann suchte er in Lübeck die Ruhe, die er hier nicht gefunden hatte.


 






 


 

 

 

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