6. Die Kirchengeschworenen.
"Kirchgeschworne" finden wir in allen Gemeinden. Ihre Zahl war
augenscheinlich mitbestimmt durch die Anzahl der zugehörigen Dörfer. Sie bewegte
sich zwischen 2 und - so die meisten - 4.
Siebeneichen hatte 5 und Brunstorf 6. Jurat mag
durch Herkommen immer der jeweilige Besitzer einer bestimmten Bauernstelle
gewesen sein, so wie es
ja auch bei dem Amt des Bauernvogts ("Pauermeister") war.
Die Visitatoren stellten überall fest, ob die Kirchgeschworenen "beeideth"
waren, drangen auf Abstellung vorhandener Mängel, griffen auch, wo es ihnen
notwendig schien, sofort durch. In zwei Gemeinden, die nur einen einzigen
Geschworenen hatten, ordneten sie ihm andere zu, in Caarsen zwei, die gleich
vereidigt wurden, in Worth den
dortigen "Pauermeister". In Kuddewörde setzen sie einen Kirchengeschworenen
"wegen seines gottlosen lebenß" ab, einen anderen in Grönau, "weil er allewege,
wenn er gefürdert, CONTUMACITER außen geblieben und nimmer zur Kirchen kommt",
einen dritten in Stapel, der "weil er ein Zimmermann, selten zur stette gewesen
war". Überall bestimmten sie für die Abgesetzten andere und vereidigten sie. Die
Vereidigung konnte bei einem, der krank war, nicht sofort vorgenommen
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werden. Der Hauptmann in Neuhaus bekam
deshalb den Auftrag, sie später nachzuholen. Finden wir in diesen Fällen die
behördliche Einsetzung, so ist doch auch zweimal von "Wahl" die Rede, von
Selbstergänzung der Körperschaft. Einer der "Vorsteher" der Kapelle gegenüber
von Artlenburg war gestorben. Die Visitatoren gaben den
Kirchengeschworenen im Abschied auf, "innerhalb 4 Wochen einen
andern zu wählen". In Lauenburg hatte man nur drei Juraten. Den vierten sollen
sie "mit Wissen des Rats kiesen und schwören lassen".
Die Aufgabe der Kirchengeschworenen war Verwaltung des Eigentums ihrer
Kirchengemeinde und Kassenführung. Sie hatten die Ländereien zu verpachten und
für die Instandhaltung der Gebäude, des Inventars und des Friedhofs zu sorgen,
hatten darauf zu achten, daß alle Verpflichtungen der Kirche gegenüber erfüllt
wurden, mußten
Buch über Einnahme und Ausgabe führen und darüber Rechenschaft ablegen. Das
Protokoll spricht immer, wenn wir heute von Einnahme oder Ausgabe der
Kirchenkasse sprechen würden, vom Einnehmen oder Ausgeben der
Kirchengeschworenen. Die Besoldung der Kirchenbeamten, soweit sie nicht in
festen Naturallieferungen bestand, ging durch ihre Hand. In Hamwarde wird ihnen
aufgetragen, einen Küster anzustellen, und weil der Worther sich erbot, für
4 Faß Roggen und 4 Faß Hafer das Amt mitzuverwalten,
sollen sie mit ihm handeln.
In Basthorst war eine Grenze des Küsterlandes umstritten. Die Visitatoren
hielten eine Lokalbesichtigung ab, verwiesen die Sache dann aber "zu
richtigmachunge an die Eltisten vnnd Kirchgeschwornen", gaben ihnen damit
besondere Vollmacht. Den Pastoren scheinen sie recht selbständig gegenüber
gestanden zu haben. Nur in Sterley sollten sie Einnahme und Ausgabe, wohl weil
sie es nicht konnten, von ihm ausschreiben lassen.
Sie sammelten in jedem Sonntagsgottesdienst mit dem Klingelbeutel "die Bede". In
einigen Gemeinden geschah es nicht. Dort wurde es aber bei der Visitation zur
Pflicht gemacht. Das gesammelte Geld tat man in einen "Block" oder in den
"Gotteskasten" oder in ein verschlossenes "Schap", zählte es alle Vierteljahr,
schrieb es an und
verwandte es dann wohl für Zwecke der Gemeinde. In Ratzeburg wurde es für die
Unterhaltung der Kirche gebraucht.
Den "Opfer- oder 4 Zeiten-Pfennigk", den man in einigen Kirchen an
den "Vierzeiten festen" (Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Michaelis) auf den
Altar legte, hatten sie in den meisten Gemeinden einzusammeln. Jeder "der
COMMUNICIRET" gab dabei nach der Sitte seines Kirchspiels jedesmal 1
oder 2 Pfennig. In einzelnen Gemeinden war es Brauch, das Geld des
ganzen Jahres an einem bestimmten Festtage zusammen zu bezahlen. Der Ertrag
gehörte ganz oder zu einem gewissen Teil dem Pastor. Der Mustiner und der
Lütauer mußten dafür die Kirchengeschworenen an den vier Festtagen bei sich zu
Gast haben, sehr zum Leidwesen des Visitators, der ausdrücklich forderte, "das
geseuff bey den Pastorn auf die hohen Feste abzustellen". Wo ein Teil des Geldes
der Kirchengemeinde zukam, wurden davon meist Brot und Wein zum Abendmahl
gehalten, in Seedorf auch die Altarkerzen.
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7. Vermögensverwaltung und Kassenwesen *).
Grundstock des Vermögens jeder Kirchengemeinde war ihr
Landbesitz. Ein Teil diente der Besoldung als Pastoren- oder Küsterland. Der
andere Teil unterstand den Kirchengeschworenen, um mit seinen Erträgnissen die
laufenden Bedürfnisse der Gemeinde zu decken.
Die Jahrzehnte ohne viel Ordnung hatten Herzog und Gutsherr und Bauer einig in
dem Streben gesehen, kirchlichen Besitz in die Hand zu bekommen und seinem
eigentlichen Zwecke zu "ABALIENIREN". Das sollte nun anders werden. Die
Visitatoren, die sich große Mühe um die finanzielle Neuordnung der Kirche gaben,
schärften den Geschworenen ein, über alles Einkommen und Eigentum, vor allem
aber über die vorhandenen Ländereien gewissenhaft Buch zu führen. Man wollte die
Kirchengemeinden dadurch vor weiteren Verlusten bewahren und vom Verlorenen
retten, was noch zu retten war.
Franz I. hatte 1572 Wedenhof (Pastorengehöft) und
die dazu gehörige "Marienhufe" in Worth der Familie Dücker erblich überlassen,
die dafür dem Pastor zu Worth und Hamwarde bestimmte Abgaben leisten mußte. Die
Forderung der Visitatoren, diese Anordnung rückgängig zu machen, "weil nämlich
das, was einmal Gott geweiht ist, nicht zu anderem Gebrauch bestimmt werden
darf" (AD ALIOS USUS TRANSFERRE NON LICET), scheint nichts gefruchtet zu haben.
Denn auch noch im Protokoll von 1590 steht die Bemerkung: "Wäre
billig, daß der Hof und Hufe bei der Capellen bliebe, wie den vor Alters der
Pastor zur Wordt denselben gebraucht hat." - In Artlenburg hatte Magnus I.
1520 die "Pfaffenhufe" "tho sick genahmen", und in St. Georgsberg
legte "die Herrschaft alle Länderei und Holzunge zum Newen Vorwerke und Hause
Ratzeburg". In beiden Fällen erhielt der Pastor eine feste, jährliche
Entschädigung. Auch "die Schmilower hebben in vorzeiten ihren eigenen Pastorn
gehabt, und ist eine besondere Wedeme dabei 1 1/2 Hufe Landes
gewesen und 1 Wische. Wirdt aber berichtet, daß die Herrschaft den
Wedemhoff mit der 1 1/2 Hufe Landes und der Wisch der Kirchen
entzogen und Arent Stoffen solle eingetan haben." (Prot. 1590.)
Franz v. Bülow in Gudow hatte "der Pastorey mehrere Ackerstücke entzogen", und
in Basthorst "hat Lud. Schacke 2 Stück Landes von der Kirche
genommen und seinen Leuten zu gebrauchen gegeben". Bauern der Gemeinde Caarsen
hatten eine Hufe Kirchenland unter sich aufgeteilt. Die Visitatoren gaben den
Auftrag, "sich dessen zu
erkundigen und wieder zur Kirchen zu bringen". In anderen Gemeinden war es
ähnlich. Hier war ein Teich und dort eine Wiese, die "von Alters des Pastorn
gewesen", in fremder Hand. Die stille Enteignung der Schnakenbeker Kapelle stand
nicht vereinzelt da.
Alle Ländereien in der Verwaltung der Kirchengeschworenen waren verpachtet.
Manche Pächter hatten aber seit 20 und mehr Jahren keine "Rente"
bezahlt. Vielleicht, daß sie das Land schon stillschweigend als ihr Eigentum
ansahen. Sie sollen nun den "gebührlichen
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*) Siehe "Die Reformation in Lauenburg" (Lauenburgischer Heimatverlag,
Ratzeburg 1931): Inventaraufnahme der Kirchen in der Vogtei
Ratzeburg 1557, S. 77. ff.
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Zins, wen man sonsten vom Acker nimmt",
bezahlen, oder aber das Land soll ihnen genommen und anderen gegeben werden,
"die gebührlich Zinßgeld darumb geben wollen". Verschiedentlich fordern die
Visitatoren Erhöhung der Pacht, so bei Gädtke Bruchmann in Lütau, der für eine
Hufe Land jährlich nur 2 M. bezahlte. Da er sich dessen aber
weigerte, befahlen sie den Kirchengeschworenen, die Hufe einem anderen "aufs
Teuerst außzutun". Er scheint sich aber noch rechtzeitig besonnen zu haben, denn
eine spätere Anmerkung zum Protokoll sagt, daß er das Land für eine jährliche,
Michaelis fällige Pacht von 12 M. behalten hat. - Joachim Hagen in
Brunstorf bezahlte für den Elisabethhof der Kapelle Kröppelshagen 1
M., die für Wein und Oblaten ausgegeben wurde. Alte Leute wußten sich aber zu
erinnern, daß dafür früher ein halber Gulden eingekommen war. So wird ihm jetzt
auferlegt, künftig alles, was an Wein und Oblaten gebraucht würde, zu
beschaffen.
Auch vom beweglichen Eigentum der Kirchen war manches verloren gegangen.
Magnus I. hatte sich von den Kirchengeschworenen der Stadt
Lauenburg einen Kasten "mit gülden und Silbernn geschirr" aushändigen lassen,
und seine Gemahlin "lieh" sich eine vergoldete Monstranz. "Ist nicht wieder
kommen." Beides soll sich im Jahre 81 bei dem versetzten Silber in
Lübeck befunden haben. Und "die alte Herzoginne", die Mutter Franz' II.,
hatte sich Kelch und Patene "zu Gebrauch des Hg. Abendmalß abgelehnett". In
Caarsen fehlten zwei silberne AGNUS DEI und eine Zimbel.
Die Visitatoren verlangen überall von den Kirchengeschworenen, das "übermäßige
Silbergeschirr", d. h. in erster Linie die ausgesprochen katholischen Geräte, zu
verkaufen. Man wollte damit wohl zweierlei erreichen: Die letzten Überbleibsel
des katholischen Kultus beseitigen und aus dem toten Kapital dieser wertvollen
Gegenstände ein Arbeitskapital machen, das, zinstragend angelegt, die oft
geringen Einnahmen der betreffenden Kirchengemeinde heben sollte. Das Protokoll
benennt häufig die einzelnen Stücke, die "zu gelde zu machen und der Kirchen zum
Besten bei gewissen Leuten auf Rente zu tun" waren. Immer sind es die Dinge, für
die eine evangelische Gemeinde keine Verwendung mehr hatte, Kelche und
Altarleuchter nur, wenn mehr als notwendig vorhanden waren. In diesem Falle
wurden die am wenigsten wertvollen verkauft. Die Lütauer Gemeinde hat damals
(nach Angabe des Protokolls von 1390) eine vergoldete Monstranz -
"versetzt zu Hamburg" -, ein Weihrauchfaß aus Messing, 6 messn.
Leuchter, davon 5 kleinere, einen "messn. Lewen zum Gießfaß" und
ein Glöcklein für 36 M. verkauft. Brunstorf erzielte 150
M. und Sterley 113 M. 13 sch. Die Grönauer Kirche
hatte bis 1582 keinerlei feste Einnahme "weder von Länderey noch
gelde". Nun gewann sie durch den Verkauf des Kirchensilbers ein Kapital von
142 M., das ihr jährlich 7 M. 26 sch.
Zinsen einbrachte.
Einige wenige Gemeinden hatten aber keine nur-katholischen Kultusgeräte mehr,
unter ihnen Lauenburg und Ratzeburg, von denen beiden doch wohl ohne weiteres
angenommen werden kann, daß sie besonders reich ausgestattet gewesen sind.*)
Sie werden schon vor der
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*) Siehe "Die Reformation in Lauenburg", S. 83.
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Visitation abgestoßen haben, was jetzt
überflüssig war. Tatsächlich finden wir bereits 1582 in einer
Gemeinde (Seedorf) Zinseinnahmen für ein Kapital von 50 M., das
"von altem verkauften Silber so bei der Kirchen gewesen kommt".
Bargeld, das die Kirchengeschworenen nicht unmittelbar zur Deckung der
laufenden Ausgaben brauchten, liehen sie gegen jährliche Zinsen aus. So lieh
sich einer in Marschacht "6 Thaler zu einem Pferde aus der
Kirchen", und ein Lauenburger Einwohner hatte 60 M. Kapital aus
der St. Jürgen-Kapelle "in sein Haus genommen". Eine
ganze Reihe Schuldner war mit den Zinsen im Rückstand. Gewöhnlich verlieh man
das Geld zu einem Zinssatz von 1 Schilling für 1
Mark "Hauptstuhl", wie das im Protokoll oft gebrauchte schöne deutsche Wort für
"Kapital" heißt. Da die Mark zu 16 Schillingen rechnete, ist das
ein Zinsfuß von 6 1/4 %. Dementsprechend wurden
für 100 M. 6 M. Zinsen gefordert. - In einem Falle
greifen die Visitatoren ein: Gelder der St. Jürgen-Kapelle waren zu 10 %
ausgeliehen. "Diese Zinsen sind zu groß und unchristlich, müssen modirirt oder
zu Erbzinsen gemacht werden."
Das Einkommen der Kirchengemeinden aus Kapitalzinsen war sehr verschieden.
Während einige kaum etwas hatten, war das ausgeliehene Kapital anderer
beträchtlich. Stapel hatte 377 M. 8 sch. verliehen,
die Mark zu einem Schilling. Die namentliche Aufzählung der Schuldner im
Protokoll nimmt 6 Seiten in Anspruch. Für jeden
Schuldner mußte hier zur größeren Sicherheit ein Bürge gestellt werden. Das von
Ratzeburg auf "Rente" ausgegebene Geld wurde 1590 mit 1383
M. angegeben, eine für damalige Geldverhältnisse sehr große Summe!
Hittbergen und Marschacht hatten jedes Jahr "aus der Salze zu Lüneburg"
eine Salzlieferung. Einige Kirchengemeinden waren im Besitz älterer Stiftungen,
alle wohl noch aus katholischer Zeit. Das Geld war ebenfalls ausgeliehen.
Krummesse hatte aus vier Stiftungen ein Kapital von 80 M.
Lauenburg erhielt von den Stecknitzfahrern jährlich 5 M., die sie
"zu ewigen Zeiten aus freiem Willen" geben wollten.
Mit der Kassenführung war es in den meisten Gemeinden übel bestellt. Immer
wieder stellt das Protokoll fest, daß die Kirchengeschworenen die jährliche
Abrechnung versäumt hätten, oft schon seit Jahren. Sie führten in einigen Fällen
nicht einmal Buch über Einnahmen und Ausgaben. In Gülzow begründeten sie das
damit, daß
die Kirche kein "sonderliches Einkommen" hätte. In Mustin fehlten 40
M. "Zu fragen, wohin die kommen."
In Ordnung befunden wurde das Kassenwesen in Ratzeburg, wo die
Kirchengeschworenen dem Rat verantwortlich waren, und ganz besonders in
Lauenburg. Die Rechnungsablegung fand hier beim Superintendenten in Anwesenheit
"etzlicher des Rats" statt. "Sie haben ihre Register. Halten ein Kirchenbuch,
tun jährlich Rechnung und
ihre Register werden in einem Casten verschlossen". In Hittbergen verzehrte man
bei der jährlichen Rechnung für etwa 8 sch. auf Kirchenkosten, und
in Artlenburg trank man dabei eine Tonne Bier aus. Der
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Abschied der Visitatoren bestimmt
kategorisch: "Die Tunne bier bey der Rechnunge auszusaufen verboten." In
Marschacht waren die lüneburgischen und lauenburgischen Geschworenen
"widereinander". Die lüneburgischen legten die Rechnung dem Bardowieker
Superintendenten vor "ohne Beisein jemand der Sächsischen".
Verlangt wird von den Kirchengeschworenen jetzt überall eine geordnete
Buchführung. Auf den künftig geplanten jährlichen Visitationen soll Abrechnung
gehalten werden.
(Fortsetzung folgt.)
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