Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1933


Die Lauenburgische Sprachlandschaft.

Von Schulrat H. SCHEELE, Ratzeburg.

  Die vorliegende Abhandlung stützt sich auf eigene Beobachtung und Nachforschung, auf einen Fragebogenstoff, für dessen bereitwillige Erledigung ich der Lehrerschaft des Kreises hier zu danken habe, auf den Grundlagenstoff, der für den Deutschen Sprachatlas aus unserer Landschaft beschafft wurde und dessen Einsicht mir Herr Bibliotheksrat Dr. Martin-Marburg von der Zentralstelle des genannten Werkes gütigst ermöglicht hat, auf Bekundungen von einigen Gewährsmännern und auf die Benutzung der Fachliteratur, die einzeln am Schluß der Abhandlung benannt wird.
 

I.

Lauenburg ist schön; das empfindet jeder Wanderer, der es durchstreift. Die Landschaft, in einem lebendigen Wechsel von Wald und See, von Hügel und Blachland [sic!], von weiter, leerer Heide und fruchtwüchsigem, vollem Ackerland, von belebter Wiese und stummem Moor, gestreckt vom Elbstrom, den das Rufen der Dampfer übertönt, bis zur stillen Wakenitz, an deren malerischen Horsten Naturliebende vorüberträumen -: diese Landschaft regt immer wieder an. Und wer nun stillere Winkel sucht, der wird viel feine Natur schauen: die Endmoränenzüge haben bei uns in manchem Gebiet gesammelt an Schönheit in sich, was Norddeutschland darin seinen Kindern zu geben vermag.

Und ein anderes Erbauendes wird uns zuteil, wenn wir uns auf unsern Wegen liebend umhören: je weiter seitab, desto reiner und reicher tritt uns die heimische Mundart entgegen, hier geruhsamer, dort lebhafter, hier in ihrem Laut schärfer geschnitten, dort weicher und länger gezogen, hier altväterlicher, dort im Schritt der Jugend, hier stolz und streithaft sich zum Eigenen bekennend, dort wieder dem Höherscheinenden und städtisch Lockenden nachstrebend, immer aber in den einzelnen Gebieten verschieden und unterschieden

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und eifersüchtigst oder neckisch spöttelnd dem Nachbar gegenüber behauptet. So erlebt man die lauenburgische Sprachlandschaft.

Gegenüber aber der Natur ist die Sprachlandschaft geistigen Wesens. Jene erscheint uns wie ewig - die Jahrtausende erst zeigen eine Wandlung. In der Sprachlandschaft wandelt sich vieles und schnell. Bleibt der Lautstand derselbe? Bleibt der Wortschatz im Gebrauch? Der Fluß der Rede, ihre Melodie, bleiben sie, wie die Heimat sie gebar? Und wenn sich das wandelt, wandelt es sich nach eignen Gesetzen, oder liegt es wie eine hoffnungslose Überfremdung über dem heimischen Sprachleben?

Es läßt sich leider dartun, was dem aufmerksamen Sprachfreund sich in längerer Beobachtungszeit aufdrängt, daß in raschem Fortgang eine Wandlung in der Mundart stattfindet, die man als Zerstörung ansehen müßte, wenn sie nicht untrennbar wäre von der tiefen und unabänderlichen Wandlung im Volksleben überhaupt. Und wie wir hoffen und glauben, daß auch diese tiefe Umformung in unserm Volksleben nur Aufbruch neuer Kräfte zu neuem Leben, nur ein Sprengen der Hülle ist, um einen neuen Blütensommer zu schaffen, so denken wir auch, daß wir diese Vorgänge im Sprachleben nur als neue Entfaltung zu deuten haben.

Und doch verhehlen wir uns nicht, daß dabei unsere Mundart einem immer größeren Bereich ein- und untergeordnet wird, also an selbständigem Leben, an Eigenart und an Bodenständigkeit verliert. Es besteht die Gefahr, daß wertvoller Sprachschatz, wertvollstes Volksgut untergeht.

Die Wörter unserer Sprache sind ja nur ein Gewand für die Urbilder, die unser inneres Leben bewegen. Und wenn wir Älteren die sinnvolle Bedeutung eines Wortes nicht mehr bildhaft sehen und erleben, wenn das Bild in uns verblaßt ist, so ist auch eine der feinen seelischen Wurzeln, die uns mit den Urgründen unseres Daseins verbinden, abgestorben. Das Kind aber erlebt noch das Wort als Sinn, als Bild, als ein Rätsel, dem es nachsinnt, als eine Gestalt, die es seiner Seele einbildet, die es im Spiegel seiner Seele wendet und von sich aus zu neuem Bunde mit der Gemeinschaft seines Lebens- und Volkskreises aussendet. So dringt das Kind bis zu den Keimen seines Volkstums vor im Kinderspiel, im Kinderreim, in Märchen und Sage, im Brauch der Tage und in festlicher Feier. Die Melodie der Sprache, ihr Rhythmus, ihre sittlichen Sätze und ihre Weisheit, sie gestalten den jungen Menschen von innen her und schaffen ihm die innere Heimat, die Wurzel seines Seelentums für immer.

Die Mutterschicht dieses seelischen, sprachlichen Lebens ist die Mundart des Volkes. Die Hochsprache ist nur die weitere Entwicklungsstufe, die Steigerung des Geistigen in diesem sprachschöpferischen Vorgang. Ohne jene Mutterschicht würde auch die Hochsprache absterben. Daher richteten sich auch die Bemühungen der Volksfreunde von jeher auf unsere niederdeutsche Sprache. Und seit sie als Schriftsprache ausschied, hört man auch immer wieder die Klage, sie sei im Verfall. Unsere Tage lassen aber wirklich diese Klage immer lauter werden, und wir verstehen sie, wenn wir sehen, was für Kräfte am Werk sind.


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Wenn wir den Sprachstand der Kinder einer Dorfgemeinde untersuchen, so fällt uns auf, daß diese Kinder in der Behandlung ihres Plattdeutsch ziemlich einig sind - einiger als meistens die Erwachsenen, die durch ihren Beruf und den Weltlauf, namentlich an den Verkehrsstraßen, weit mehr durch die weitere Welt berührt und unbewußt weltförmiger geworden sind. Fragt man in und um Pötrau z. B. nach der Aussprache des Ortsnamens, so hört man alle möglichen Fälle: Pötrau, Pötro, Pöttro, Pöttroch; die Kinder antworten einstimmig: Pörro. Bei alledem bemerken wir in einer solchen Jugendschar doch Unterschiede. Am einfachsten - wahrhaft natürlich - sprechen die Kleinen, die abseits des Dorfes oder bei älteren Leuten ausgewachsen sind. Ihre sprachlichen Eigenformen werden von den andern Kindern wohl bemerkt; doch allmählich lebt ein solcher Eigensprößling sich auch in den gemeinsamen Sprachstand ein. Die Kinderschar setzt sich wieder deutlich ab gegen Kinder anderer Dörfer, zum Beispiel gegen das Kirchspielsdorf. Hier beginnt nun trotzige Selbständigkeit. Kein Kind denkt daran, etwas von dem andern Dorf anzunehmen; was für Gründe sollten auch dafür sein: jene sind doch nicht besser. Ein Beispiel mag dies erläutern. Die Schule in Schnakenbek bei Lauenburg (vor der Ertheneburg) wird besucht von Kindern aus Schnakenbek und aus dem Glüsing, und die Kinder gehen zur Kirche und zum Konfirmandenunterricht "drüben" jenseits der Elbe in Artlenburg, wohin sie mit der Fähre gelangen. Dort in dem ehrwürdigen festen Kirchenbau werden sie auch konfirmiert. Ein und das andere Kind siedelt auch umgekehrt von Artlenburg nach Schnakenbek über. So stellte ich zu meiner Überraschung eines Tages fest, daß dort in dieser engen Lebensgemeinschaft der Schule tatsächlich drei hartnäckig festgehaltene Ausspracheweisen bestehen, von jeher bestanden, ohne sich auszugleichen. Als ich nach der verwunderlichen Feststellung fragte, welche Weise denn nun am besten sei, entstand auf diesem allerkleinsten Schauplatz ein wahrer Sprachenkrieg: jede Partei behauptete von ihrer Sprache mit dem schönsten Stolze, sie sei die allerfeinste, gewissermaßen allein richtige. Eine kleine Liste mag uns etwas ins Bild setzen:
 

Hochd.   Schnakenbek   Glüsing   Artlenburg
             
eins   ei(e)n   een   ei(e)n
zwei   twei   twee   twei
drei   drei   dree   drei
vier   veier   veer   veier
siebzig   söbmzig   söbmzig   söbmdig
er soll   hei sall   he sall   hei sall
wir haben   wü hebbt   wi hebbt   wü hebbt
Schnee   Snei   Snee   Snei
es schneit   dat sniet   dat sneit   dat sneit
Kuh   Kau, Käu   Koh, Köh   Kau, Käu und Küh
euer Vater   jüch Varrer   jün Varrer   jüch Vaarer
freien   frie(e)n   frie(e)en   frei(e)n
Eier   Eier   Eier   Eeer
Feuchtigkeit
in der Erde
  Frucht
inne Eer
  Frucht
inne Eer
  Fucht
inne Eer

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Der Frage, wieso denn Glüsing und Schnakenbek verschieden aussprechen können, zwischen beiden feinere Sprachlinien trennend liegen können, soll hier zunächst nicht nachgegangen werden. Vermutlich hängt dies mit der besonderen Stellung von Glüsing, dem Straßen- und Marktverkehr, dem Grenz- und Übergangsverkehr dieser alten Siedlung an der Sachsengrenze zusammen. Die Sprache ist verstädtert im Sinne der unten folgenden Ausführungen. Hier ist nur wichtig, daß die Kinder der verschiedenen Gemeinden einander keinerlei Überlegenheit zuerkennen und daher einander nicht weichen. Eine solche Überlegenheit wird aber unter Umständen anerkannt. Zwei Beispiele
im Gegensinn mögen dies erläutern. Ich spreche mit einem sehr begabten vierzehnjährigen Mädchen. Ich frage sie, was sie wohl werden will. Sie will zu Hause bleiben, wenn ihre Schulzeit vorüber ist. Schön, gut! Aber immer? Fast entsetzt weist sie den Gedanken zurück, es könne irgendwo anders auch gut sein. Nein, niemals. Schöner, besser als in K. kann es doch nirgends sein. Das Mädchen in seinem festen, bodenständigen, sicheren und heimatstolzen Sinn macht mir Freude. Mit sehr gemischtem Gefühl nur hört man eine andere Dorfjugend. Die Kinder lesen eine Darstellung Hamburgs. Ich höre, daß sie schon in Hamburg gewesen sind. "Möchtet Ihr dort immer sein?" Geschlossen geht es wie ein Glanz über die Klasse: "O ja, das möchten wir." Kein Besinnen bei weiterer Erörterung. Das Dorf liegt an der großen Chaussee. "In dei Schesseedörper is't ümmer so", sagte eine alte Frau zu mir, "dei wöt all na Hamborg". Es wird etwa anerkannt und gefühlt auf Grund des großen Verkehrs, des Umgangs mit Städtern und Höhergebildeten, jene seien begünstigter in der Welt, seien mehr, erreichten mehr, genössen mehr, hätten eine andere, also wohl höhere Kultur, sprächen auch feiner, die eigene Sprechweise sei breit. Und angesichts dieser Spannung im Lebensgefühl und angesichts des Gefälles der Kultur von der Stadt nach dem Lande hin gibt es kein Halten mehr; alte Formen werden aufgegeben. Bald heißt es: Das sagt man jetzt nicht mehr, das sagen nur die Alten. So kann man es als ein Gesetz ansehen: WO EIN KULTURGEFÄLLE GEFÜHLT UND ANERKANNT WIRD, DA WEICHT DIE EIGENTLICHE MUNDART ZURÜCK. .

Dieses Kulturgefälle ist zunächst überall und ganz natürlich da, wo die Mundart der hochdeutschen Sprache im Gebiet des Verkehrs mit der Stadt begegnet. Das Hochdeutsch ist die Sprache der geistigen Kultur. An seiner geläufigen Beherrschung erkennt man mehr oder weniger den Stand und die Stellung des Sprechenden und den Grad der von ihm erworbenen Bildung. Immer breiter wird der Kreis derer, die den Weg durch das Hochdeutsche nehmen müssen - ob sie wollen oder nicht. Doch kommen nicht alle zur Beherrschung der eigentlichen Hochsprache, sondern in unsern immerhin nur kleinen Städten wird ein Hochdeutsch gesprochen, das weithin in seiner Aussprache durch das Plattdeutsche beeinflußt wird. Die Grundstellung der Sprechwerkzeuge, die sogen. Artikulationsbasis, bleibt dem Plattdeutschen verhaftet; man stellt, spannt und bewegt Kiefern, Lippen und Zunge beim Sprechen, als ob man noch Plattdeutsch redete. So

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erkennt man dann den hochdeutsch redenden Lauenburger in seiner hochdeutschen Umgangssprache sofort wieder und freut sich seiner Eigenart.

Umgekehrt wirkt nun doch das Bemühen um das Hochdeutsche und das Vorbild des reinen Hochdeutschen dahin, daß das in der Stadt gesprochene Plattdeutsch wieder vom Hochdeutschen her beeinflußt wird. Dieses städtische Platt wird zunächst in seinem Wortschatz von der hochdeutschen Umgangssprache her genährt; es folgt ihr in der Entwicklung, bleibt also gewissermaßen jung. Eine eigene Entwicklung hat es auch in seinem Lautstande NICHT. Doch hat das städtische Platt infolge größerer Spannung und schnellerer, lebhafterer Tätigkeit der Sprechmuskeln eine andere Sprechhaltung als das Platt des flachen Landes. Dieses ländliche Platt ist alt und ist treu gegen seinen Wortschatz, nimmt schwer auf, hat auch noch die Kraft, ein neues Wort sich ganz einzuverleiben und einzudeuten. Vor allem richtet es sich nicht nach dem Hochdeutschen aus, sondern es folgt seinen eigenen Lautgesetzen und ist hierin, wie wir sehen werden, noch immer in lebendiger Entwicklung. STÄDTISCHES UND LÄNDLICHES PLATT SIND ALSO DEUTLICH ZU TRENNEN. *)

Die Zerstörung des Plattdeutschen folgt also einem Kulturgefälle, das von der Hochsprache her über die Umgangssprache und weiterhin über das städtische Platt sich ins breitere Platt erstreckt.

Das Platt des Landes hat seinen eigenen Wortschatz, an dem es treu festhält und in den es neue Wörter, nach sich selber formend, aufnimmt. Sein Lautstand ist noch in natürlicher, nach innern Gesetzen bestimmter, nicht abgeschlossener Entwicklung. Ein erster größerer Abschnitt unserer Arbeit wird zu zeigen haben, wie es des genaueren um diesen Lautstand und diesen Wortschatz und um deren Absetzung gegen das städtische Platt steht. Und wenn unsere Arbeit aufzeigen will, daß Mundart nicht Willkür ist, sondern eben gesetzlicher Entwicklung gehorcht, so wird sie nicht ganz der rückblickenden lautlichen Betrachtung früherer Perioden entbehren können.

Dem vorhin geschilderten natürlichen Lebens- und Wandlungsvorgang innerhalb der Sprache, der auf der soziologischen Struktur unserer Volksgemeinschaft beruht, tritt ein anderer, wie es uns scheinen will, gewaltsamerer, unnatürlicherer Vorgang zur Seite, der in immer schnellerem Tempo eine tiefe Veränderung im Sprachlichen als einem Anzeichen tiefer seelischen Wandlungen im Volkstum hervorruft.

Da ist die Rationalisierung und die Technisierung der Landwirtschaft, anders gesagt, die Ausrichtung des landwirtschaftlichen Betriebes, seines gesamten Lebens und Treibens nach den rein wirtschaftlichen, rechnerischen, sachlichen Überlegungen des Verstandes. Gemütswerte, Satzungen der Weisheit und über dem Leben erhabener Güte, Anerkennung des rein Menschlichen, Bindungen an Urgründe und Ziele jenseits des lediglich Sichtbaren gehen in den Verstrickungen des Wirtschaftszwanges unter. Der Bauer an seinem Herd, auf seinem Besitz, dem Erbe seiner Väter, inmitten seines Hauses, seiner Früchte,
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*) Im folgenden wollen wir die Sprache des flachen Landes mit L bezeichnen, das städtische Platt mit St.

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seiner um ihn wachsenden Tierwelt: er geht unter. Es ersteht der Farmer, der in Maschinen denkt und mit Maschinen arbeitet und rechnet.

Dieser Maschinen- und Farmbetrieb vernichtet einen Kreis von Tätigkeiten, der sinnvoll und sittlich das bäuerliche Leben füllte, und damit das alt überkommene Sitten-, Glaubens- und Sprachgut: Pflügen, Säen, Ernten, Dreschen, Spinnen, Weben, Färben, Waschen, Mahlen, Backen, Buttern, Licht und Feuerung, Einschlachten und Räuchern, hundert Kenntnisse des Einsammelns und Aufbewahrens von Früchten und Pflanzen zu Nutz und Frommen des Hauses, hundert Freuden des geselligen Zusammenseins und abermals hundert feine Grenzen, unüberschreitbar und alles in bewährten Maßen haltend. Wo ist dies alles? Vergangen, vergehend - und mit ihm das Wort, und mit dem Wort sein Ton - dieser langsame, ruhige, gedehnte Ton in dem knappsten Ausdruck.

Zu diesem sorgenden, rechnenden Leben gehört die aufmerksame Verfolgung der Wirtschaftsmeldungen. Das Radio wird gehört: Vorgänge am Viehmarkt und Marktberichte, vor allem der Wetterbericht. Das natürliche Interesse an der Himmelsbeobachtung und die Fähigkeit dazu nehmen ab; wieder verschwindet altes Sprachgut uralter Wetterregeln und Naturdeutungen. Das neue Sprachgut, das noch entsteht, ist doch nur sehr flach und eng: "Duor kümmt ein Deip." "De Radio hett seegt. duor is ein Rägenfront ünnewägs von Frankrik." "De Zeitung schrifft, vön Nach ward freirn." Wenige Formeln erledigen dies Gebiet, das im Praktischen hängen bleibt. Das Radio drängt sein Hochdeutsch auf. Nie Gehörtes bedrängt das Ohr. Freilich auch das Plattdeutsch wird gehört, gerne gehört; aber dieses Plattdeutsch ist nun doch einmal nicht das Plattdeutsch der Heimat; es ist eines, das alle verstehen, und darum dem heimischen Blatt abträglich. Und auf noch leidenschaftlicheren Wellen zieht das Hochdeutsch
daher: Politik im Radio. Und mit der leidenschaftlichen Anteilnahme wächst das Bedürfnis nach der Aussprache mit dem Nachbarn, und schon stehen wir in hochdeutschen Formen und Wendungen und Vorbildern und Sprachreizen, unterhalb welcher Schicht die innere plattdeutsche Welt sich in einer Rückzugsstellung wiederfindet. Zeitungen,
landwirtschaftliche Zeitschriften, Fachvorträge, die Büchereien der Bildungsvereine: ohne sie kann man nicht mehr leben, mit ihnen nicht mehr bleiben, was man war. Die Notwendigkeiten des Lebens treiben zum Gebrauch des Hochdeutschen. Wenn wir es nicht können, unsere Kinder sollen sich bewegen können. Also laßt uns mit ihnen hochdeutsch reden. Als die Ruhrkinder im Kreise waren - ein liebes Kapitel: damals sind viele schöne Bande der Dankbarkeit und Güte entstanden, manche für immer - damals also wurde im Hause mit den Kindern und unter ihnen oft nur hochdeutsch gesprochen. Wo das einmal geschehen ist und der Vorteil bei der ersten Beschulung sich zeigte, da ist es auch bestehen geblieben, wenn es auch nicht so häufig ist, als wir es glaubten (siehe Statistik).

Die Schule selbst wirkt naturgemäß in derselben Richtung. Sie muß die Kinder in die Schriftsprache einführen. Sie macht die Kinder

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selbständiger und freier im Gebrauch des Hochdeutschen, als die frühere mehr passive Schule es konnte. Das wird auch durchaus bemerkt, und bemerkt auch die damit verbundene Einschränkung des Platt nach verschiedenen Seiten. Es wäre möglich, noch eine Reihe von Erscheinungen zu nennen, die nur Ausfluß des Gesamtzustandes sind - denken wir nur an den Nachwuchs der ländlichen Arbeiter (ihre Herkunft oftmals aus unteren Schichten der Großstadt), an die Art der Vergnügungen, die inhaltsleeren Abende der Dorfjugend - Erscheinungen, die uns verständlich machen, daß dort, wo Seelisches krankt, keine Liebe, keine Bindung an das Sprachliche wachsen kann; denn Sprache ist Ausdruck des Seelenlebens.

Um nun einmal einen festen Untergrund für die Erörterung der Frage zu gewinnen, wie sich das Platt zum Hoch verhält, ist eine Statistik darüber ausgenommen, wieweit die Kinder mit ihren Eltern zu Hause plattdeutsch reden und wieweit sie überhaupt plattdeutsch sprechen. Die gewonnene Übersicht möge hier folgen.


Uebersicht der Sprachverhältnisse in den öffentlichen Volksschulen 1932.
 

Gebiet   Zahl der
beteiligten
Familien
  Zahl der mit
den Kindern
plattdeutsch
redenden
Familien
  Zahl
der Kinder
in den
Schulen
  Zahl der
plattdeutsch
redenden
Kinder
                 
Ortschaften an
und nördlich
der Bahn
Schwarzenbek-
Hamburg
  2016   1577
= 78 %
 
  3261   2655
= 81 %
 
                 
Ortschaften
südlich der Bahn
Schwarzenbek-
Hamburg
  1124   606
= 64 %
 
  1550   933
= 61 %
                 
Die Städte
Ratzeburg,
Mölln und
Lauenburg
  1286   562
= 44 %
  1825   811
= 44 %
                 
    4426  
2745
= 62 %
 
  6636   4399
= 66 %

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Die Ergebnisse unserer Aufnahme sind dann noch einmal in das nachfolgende Kärtchen eingetragen.




Kreis Herzogtum Lauenburg.
Uebersicht über das Vordringen des Hochdeutschen 1932.

(Die Prozentzahlen geben das Verhältnis der plattdeutsch redenden Kinder zu den hochdeutsch redenden an.)
 

Auf jede Familie kommen also 1,5 SCHULkinder. Im Norden sitzt das Plattdeutsche noch fester und breiter im Volksganzen als im Süden. Der Süden hat unter dem Einfluß der Verkehrswege ein verkehrsreges Geschlecht geschaffen, dessen Mundart entsprechend abgeschliffen ist, was oft gerade bei älteren Männern auffällt. Der Süden steht auch unmittelbar unter der Strahlungswirkung von Hamburg, dessen Industrie und Handel den Männern ihr Tätigkeitsgebiet schafft und dessen Frauen von den Männern aufs Land geholt werden. Die

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Einheiratung wirkt sich sprachlich aus; denn die Mutter schafft die Sprache des Kindes, die Muttersprache. *)

Und noch eins lehrt die Statistik: mit dem Absinken des Plattdeutschen ändert sich scheinbar die Stellung zum Nachwuchs, die Kinderzahl sinkt leicht ab: im Norden kommen auf 10 Familien mehr als 15, im Süden weniger als 15 Schulkinder.

Wie selbstverständlich, wird unter den Kindern mehr plattdeutsch gesprochen, als zu Hause von den Eltern im Verkehr mit ihren Kindern beliebt wird; es gibt manchen Jungen, der sich herzlichst freut, das schöne Plattdeutsch mit seinen Kameraden sprechen zu können, wenn seine Eltern es auch manchmal anders wünschen, und der Junge hat unsern Beifall. Ihm bedeutet ja das Hineinwachsen ins Plattdeutsche Ausweitung seines Seins, Bereicherung seines Innern, Vertiefung seiner Wurzeln, Rückgang auf Urformen, Urbilder, die seine junge Seele, ihm unbewußt, wohltuend und stärkend schwingen lassen.

Wir erkennen beim Überblick leicht die Auflockerung des Südens an der Bahnlinie Bergedorf bis Schwarzenbek, an der Chaussee Wentorf-Dassendorf-Schwarzenbek und - etwas weniger - an der Linie Bergedorf-Düneberg-Geesthacht. Man sieht den städtisch beeinflußten Streifen: Lauenburg-Bahnhof Büchen-Mölln-Ratzeburg und im Radius von Lübeck das Gebiet von Grönau und Krummesse. Die Güter machen sich bemerkbar im Schaalseegebiet und nochmals mit der Industrie zusammen im Gebiet Güster-Wotersen. Der Norden hat die meisten hundertprozentigen Ortschaften.

Und von unseren Gedankengängen her kann man die Wirkung der neuen Groß-Autolinien abschätzen, die von Mölln nach Trittau, von Lübeck nach Sandesneben verlaufen. Die berührten Dörfer lagen bis dahin im Stillwinkel des Verkehrs; heute ist eine Reise in diese Dörfer oder ein Besuch von diesen Dörfern aus in der Großstadt mühelos. Wenn dieser Verkehrsstand einige Jahrzehnte bestanden haben wird, wird viel Eigenwüchsiges im Sprachleben untergegangen, die Sprachlandschaft um ein weiteres Stück eingeebnet, also ärmer geworden sein.

Nun wird noch ein Umstand beim Ablesen des Kärtchens zu beachten sein. Es erlaubt zwar festzustellen, ob und wieweit in einem Gebiet das Plattdeutsche noch lebt, nicht aber, ob es sich um die heimische Mundart handelt. Wenn im südlichen Lauenburg das Hamburger Platt auch die heimische Mundart tönt, so werden wir diesen Vorgang in unserer weiteren Erörterung beachten können und müssen. Es gibt aber auch störende und zerstörende Fälle, die für uns kaum greifbar sind. Ein solcher äußerster Fall ist Güster, wo der bei weitem überwiegende Teil der Bevölkerung in der Industrie beschäftigt ist. Es sprechen zwar 4/5 der Kinder plattdeutsch, aber nur eins der Kinder stammt aus einem heimischen Bauernhause. Man mag sich
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*) Ich sagte zu einem jungen Mädchen: "Sie sprechen nicht wie die andern aus E." "Ja", sagte sie, "wir haben viel Spaß davon zu Hause mit unserm Vater, wir sprechen wie unsere Mutter, die ist aus Zarrentin." Darauf sagte ich: "Sie sprechen aber auch nicht wie die Zarrentiner." Und ich erhielt die Antwort: "Ja, das kommt daher, daß unsere Großmutter nicht aus Zarrentin war, die war aus Lübeck." - Ein Beispiel, das sich vermehren ließe und das zugleich den Einfluß der Freizügigkeit zeigt.

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danach vorstellen, wie das Plattdeutsch unter den Kindern beschaffen ist. Was für ein Abstand gegen jenes andere Dorf, das mir vor Augen steht: wo jeder Eingesessene plattdeutsch redet, wo selbst auf die hochdeutsche Anrede immer nur eine plattdeutsche Antwort erfolgt, wo - man dürfte es sagen - eine instinktive Feindschaft gegen das Hochdeutsche herrscht. "Dei snackt gäl", so wird farbig bezeichnend der Abtrünnige abgelehnt.

Wir sind mit unsern Betrachtungen allmählich in jene Auffassung hinübergeglitten, die heute die Mundartforschung umfangreich beschäftigt. Wir haben selbst gesehen, daß die Mundart sich nicht bloß innerlich wandelt, sondern daß sie auch aufs stärkste von ihrer Umgebung her beeinflußt wird. Die Sprache gehört allen, ist nicht Sache des einzelnen Menschen; sie entsteht vielmehr nur im Ich und Du, wächst nur unter Uns und Euch, geht von Menschen zu Menschen; von einer Gemeinschaft zur andern, von Land zu Land. Dieser äußere Gang schafft äußeren Wandel, und dieser äußere Wandel läßt sich geographisch innerhalb der Sprachlandschaft festlegen - die eine Aufgabe dieser Richtung - und läßt sich begründen, was abermals eine Aufgabe ist. Die Vorarbeit, die für diese Aufgabe in den 40 Wenkerschen Sätzen und durch den Sprachatlas des Deutschen Reiches auch für unser Gebiet geleistet ist, wird uns weiter unten noch beschäftigen in einem zweiten größeren Teil, der die oben genannte Aufgabe, soweit möglich, lösen soll.

Es bleibt für uns noch eins zu erwähnen. Wir sprachen bis jetzt von der lauenburgischen Mundart schlechtweg. Die Frage, ob es so etwas wie eine Mundart überhaupt gibt, ob nicht vielmehr das sprachliche Leben in schrittweisen Wandlungen von Landschaft zu Landschaft sich ändert, aber immer nur in einzelnen und wiederum verschiedenen Zügen und in ungleichmäßigen Schritten und in ungleichmäßiger Ausdehnung, diese Frage ist von uns nicht behandelt. Wäre sie im letzten Sinne zu beantworten, so gäbe es vielleicht nur Kernlandschaften und Zonen verschiedenen Übergangs. Wir würden schließlich am Ende unserer Betrachtung in einem letzten Abschnitt - die Überschrift unserer Abhandlung nimmt eigentlich eine Entscheidung vorweg - unsere Sprachlandschaft daraufhin zu untersuchen haben, ob es hier eine solche Kernlandschaft gibt oder ob wir nicht doch in einer bloßen Übergangslandschaft beheimatet sind, so daß man von einer lauenburgischen Mundart nur noch im engsten Sinne reden dürfte - zur  Verständigung über das, was uns als Schönstes nun einmal gehört.

(Fortsetzung folgt.)
 


 

 

 

 

   

 

 

 

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