Die Mundart lebt ihr freies, von keiner
Schrift gefesseltes Leben, und zwar im Munde der Sprechenden. In
ihrem Munde wandeln sich die Laute. Das ist das Lebensgesetz der
Sprache. Sonst gäbe es keine Mundart. Diesen Lautwandel kann man
an jedem kleinen Eigenwüchsling beobachten, der etwas seitab
seine schönen Kinderjahre verlebt. Nimmt ihn aber die
Schulgemeinschaft auf, so zeigt sich an ihm das
Gemeinschaftsgesetz. Es dauert nicht lange, so kennt man ihn in
seinen sprachlichen Drolligkeiten nicht wieder. Er spricht wie
alle seine Kameraden. Die Jugendgemeinschaft ist die kleinste
Zelle, in der sich ein gleichgerichteter Sprech- und Sprachstand
herstellt. Sie geht der Ortsgemeinschaft voran; denn alt und
jung, das sind hundert feine und sehr lebendige Unterschiede.
Für unsere Zwecke habe ich daher versucht, mich nicht auf einen
Bericht über Gehörtes zu beschränken, sondern so etwas wie
urkundliche Belege zu schaffen. Ich lege aus einer Sammlung von
Niederschriften, die ohne Vorbereitung
von 8-14jährigen Kindern gearbeitet wurden, einige
den folgenden Erörterungen zugrunde. Eins Dreizehnjährige macht
den Anfang. 3)
Nr. 1. Ein Abend in Dörp.
Dei Bäklock har all slan. Wü seiten up dei Bank bi dei Blangndör
und keiken na dei Swak'n, dei noch rasch n bed'n Fudde för ehr
Jung'n haln wulln, dei warm und mollig ünnern Ösel 4)
seit'n. Dat weurn recht schön Abend. Dei Foß dei ba sick 5)
in'n Wischhof. Dei Uln fläugen rümher und schrien. Ock dei
Fledemüs weurn ut
_______________
3) Über die Methodik solcher Arbeiten kann hier nicht näher
gesprochen werden. Es sei nochmals gesagt, daß sie in keiner
Schule gepflegt werden und gepflegt werden
sollen, da man ja überhaupt niederdeutsch nicht schreibt. Es ist
aber ein außerordentliches Zeugnis für die Arbeit der
Volksschule, wenn man sieht, wie die Kinder mit den Mitteln der
hochdeutschen Rechtschreibung die niederdeutschen
Lautverhältnisse oft aufs allerfeinste wiedergeben. Wenn
geschrieben wird für 'Flammen' 'Flam'm'' so ist nicht nur die
Angleichung des Endungs-n empfunden und
wiedergegeben, sondern auch die Druckgrenze innerhalb der
Verdoppelung. Das ist erstaunlich für ein Volksschulkind. Ich
habe daher auch außer an den Zeichen kaum an den Arbeiten
geändert. Sie mögen wie Zeugnisse stehen. Auch die kleinste
Merkwürdigkeit hat zumeist einen beachtenswerten Sinn. Man sehe
allein die Mühe, wie etwa das Kehl-n wiederzugeben
versucht wird (gesungen sung, sung', sung'n; neun = nägn, näg'n,
näng, nängn u. ä.
ANMERKUNG:
Die heutige Zeit des Niederdeutschen
(Plattdeutschen) beginnt etwa um 1600 mit dem
Ausscheiden des Niederdeutschen als Schriftsprache. Die
Blütezeit, das Mittelniederdeutsch, darf man von 1200-1600
setzen. In diese Zeit fällt die Ausbreitung durch die großen
Kolonisationen. Davor liegt die Zeit des Altsächsischen, das man
als ÄLTESTES NIEDERDEUTSCH ansehen muß, etwa vom 8.
Jahrhundert ab. Zeitlich rückwärts liegt die germanische Zeit,
in der das Deutsche mit dem Anglofriesischen näher zusammensteht
gegenüber dem Nordostgermanischen, darunter dem Gotischen. Das
älteste Sächsisch stand wohl dem Angelsächsischen nahe. Darauf
deuten manche Erscheinungen. So sprachen die Sachsen in England
wie die Altsachsen in Holstein die drei Mehrzahlpersonen in
einer einheitlichen Form: wi, gi, si helpad. Und das sagen wir
auch noch : wü, jü, sei helpt.
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ihrn Festeck rutkam. Dat Abendrod weuer blos
as'n Strich achte de Böm un bei Buerhüse tan sei'n. Dei Deerns keumen all mit
de Melkemmes na Hus, un harn all utmolken. All dei Knechen keum so allmählich
bi denn Buervagt sien Müer tausamen. Ick wull gra tau Bett gähn. Dor, mit'n mal
reup eine: "Füe, Füe!" Donn blas dei Nachwächter ock all. Dei Mannslüd leup'm
nat Sprüddenhus. Uns Naber har all sien beiden Brunen vörn Adelwagen spannt un
feur na'n Dörpsdiek. Ick leup na dei Strad un wull ock sein, wo dat brenn de;
kun öbe nicks sei'n. Nu leup ick rasch na dei Kirchhofsmüer, un stell mi an dei
grobe Linn. Von hier ut kunk dat gaud sei'n. Nu harn sick hier ock bald noch
mehr Lüd infun. Sei snack'n dor von, wie Jehann Hoklas woll tau Sinn weuer;
denn hei har sick doch did Hus eierst köfft. Nu sleugn dei Flam'm ut dat
Strohdack rut. Dat weuer man gaud, dat de Keuh noch budden güng. Dei Swin un dat
Federveih harns all rut, blos dei Stut mit den'n Fahln, dei wull un wull nich
rut. Nu stön blos noch dei Balkns un Stenes 6); teensen dei Wand
7) weuer ock all
rönnefulln. Dei Buer weuer binah dor ünne bleben, wenn sei em nich noch snell
dor ünnerutretn harn. Dei Fruch wüß gor nich, wad sei maken sull, sei leup mit'n
Stebelknech in dei Hand rümher. Dei Kiene schrien, denn sei weuern all tau Bett
west. Un ehr Ogen harns
noch half tau; sei wüssen ock nich, wos blieben sulln. Denn dat schöne, grobe
Wesmark 8) weue nu man blos noch en lütten Schutthupen.
(Aus Müssen.)
In der Schilderung des Abendfriedens, in dem feinen Empfinden für
den Gegensatz zwischen der Ruhe und dem aufregenden Unglück verrät sich die
beginnende Reife, in der passiven Haltung die Mädchennatur der Verfasserin. Für
unsere Zwecke hat sie schon ein wenig zuviel von der hochdeutschen
Rechtschreibung gelernt. Diese überdeckt Einzelheiten der niederdeutschen
Lautgebung. Doch zeigen sich die Grundzüge unserer Mundart.
'Dei "Bäklock" har all slan'. Das klingt ganz lauenburgisch, das Ä offen, ganz
hell und lang. Es bringt uns einen charakteristischen Zug unserer Mundart zum
Bewußtsein: DIE VOKALE IN OFFENER SILBE WERDEN MÖGLICHST OFFEN, DIEJENIGEN IN
GESCHLOSSENER SILBE MÖGLICHST GESCHLOSSEN GESPROCHEN (I). Die Kleine hätte daher
auch schreiben müssen: Wäswark, bläben, Stäwel. 9) Daß sie es nicht getan
_______________
4)
Ösel: untere Kante des Strohdaches, Traufe. -
5) Der Fuchs badete sich = es
stieg der Abendnebel aus der Wiese. Anderswo sagt man auch: Dei Voß wahl siek. -
6) Balken und Ständer. -
7) Wand am Hausende; teenseen - zu Endes Ende. -
8)
Gewese, hübscher Ausdruck: Wesen als Werk entstanden.
9) Es handelt sich um die
sogen. tonlangen Vokale. Tonlängung erfolgte, wenn auf eine kurze, aber betonte
Silbe eine tonlose Silbe folgte nach einem einfachen Mitlaut. In obigem Fall
wurde aus as. BEDA (mit kurzem E) und BEDON unser bä dn und Bä, Bä d (nach
Abfall des E). Alle langen Selbstlaute - einerlei welcher Herkunft sie sind -
werden nach Abfall des E überlang und doppelgipflig geschleift gesprochen, wenn
nicht ein ursprünglich harter Verschlußlaut folgt: Stä· (Stätte, Bauerngehöft <
as. STEDI), Hä·g (Hecke < ags. HEGE, aber Bä·k (mit einfacher Länge aus as.
BEKI = Bach).
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hat, zeigt uns den Einfluß des Hochdeutschen
und des Verkehrs. Dieser Lautzwang erlaubt nur noch einen mittleren Laut
zwischen offenem Ä und dem Laut E (etwa in Ehre). Daß das Ä in 'Bäklock' sich in
seiner Eigenart hält, liegt natürlich an der Abseitsstellung des Wortes, das im
weltförmigen Verkehr kaum vorkommt und sich daher mit der Sache, ihrem Sinn und
ihrem Gemütswert in seinem Klange erhält. 10)
Sieht man von diesen tonlangen E ab, so findet man keine langen E mehr. Es
heißt: ein, hei, sei; wü seiten und keiken, leupn und reupn (mit Rundung des ei
zu eu). Es sind Wörter, die mnd. ein langes E hatten: EN, DE, SE usw. Das lange
E ist aber zu EI aufgespalten, zum Zwielaut. Diese Zweiung ist ein wichtiges
Kennzeichen unserer Mundart. Ihr sind alle Ê verfallen, einerlei welchen
Ursprungs sie sind. Der Raum gestattet nicht, die verschiedenen Wege zu
beleuchten. 11) Wichtig ist aber, daß auch e4
[darunter as. IO, germ. EO] erfaßt ist. Ein Beispiel für die ganze Gruppe:
Die hohen Werte des Familienlebens bei den Germanen sind in zwei Wörtern
ausgeprägt, die Liebe und Freundschaft bedeuten.
'Lieben' hieß got. frijon, mnd. VRÎEN, und heißt bei uns 'fri·dn'. 'Fri' ist ein
Weib von edler Abstammung, und 'Frigg' ist nordisch die Göttin des Muttertums.
Nach ihr ist der Freitag genannt, bei uns 'Fri·dag', nicht 'Fre·dag' wie bei den
Lüneburgern, die dies gern auf die langobardische Form 'FREA' zurückführen
wollen. 12) Mit FRIJON hängt auch
as. FRIUND zusammen, unser 'Fründ'. 'Wü sünd noch Frünn', heißt: wir sind noch
verwandt. Es ist dieselbe Bedeutung, die das Wort 'fraendr' schon in der
altisländischen Strophe zeigt:
Deyr fe, deyja FRAENDR,
deyr sialfr it sama;
ek veit einn, at aldri deyr:
domr um daudhan hvern.
Vieh stirbt, SIPPEN sterben,
du selbst stirbst wie sie;
EINS WEISZ ICH, das nie stirbt:
der Ruhm harter Tat. |
Verwandte, Freunde sind sich also nach alter Auffassung Liebe schuldig.
- Das
andere Wort für 'lieb' hieß got. LIUFS, as. LIOF,
_______________
10)
Mit wie feinem Sinn solche Abseitsstellungen geschützt sind, zeigt folgendes
Beispiel. Im Lauenburgischen braucht man den Ausdruck: 'Ich fürchte mich nicht'
so gut wie gar nicht, obgleich 'fürchten' ein altes Wort ist: got. FAURTHJAN,
as. FOR(S)HTIAN, as. FÂR Nachstellung, mnd. VORVEREN = sik vöfiern (vgl. hd.
unverfroren). Man sagt hierzulande: Ik bün nich bang, ik bün nich grügn, ik grüg
mi nich, ik ängs mi nich, ik vöfiar mi nich. Ein sehr alter Landmann gab dazu
folgende Erklärung: "Man sagte: 'Ik fürch Godt'. Das wurde deutlich
unterschieden von: 'Ik früch mi nich, bün vör keenen bangn'. Heute macht man den
Unterschied nicht mehr so". Das Wort 'fürchten' blieb also im eigentlichen Sinne
heilig und geweiht (got. HAILAG, as. HÊLAG, got. WEIHS). Heiliges hat unser
Volk immer gekannt.
11) Vgl. die Übersicht am Ende des Teiles II.
12) Wir haben
leider nicht eine so stolze Erinnerung an die Langobarden, die hier gewohnt
haben sollen, nur eine kleine liebliche. Ein Kinderspielzeug, eine Klapper
(Gänsegurgel mit kleinen Steinchen) heißt hier 'Strütt'. Die Langobarden müssen
wohl 'STROTA' gesagt haben; es heißt heute noch ital. STROZZA (unverschobenes T
in Strota! ags. THROTE).
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mnd. LÊF; bei uns ward es zu LEIF. Aus IO wurde EI. Diesen Weg
gingen alle Wörter auf IO. Alle mnd. langen E wurden also zu EI.
Noch ein Wort zu den Verben. Der lautliche Weg ist auch bei ihnen verschieden.
Sehen wir uns nur einen Fall an. 'Wü keiken' steht für nordniedersächsisch 'wi
keeken', das ganz niederdeutsch ist. Es hätte heißen können 'wü seigen'. Diese
Form führt auf eine as. zurück 'SAWI' (OPT.), die über Umlaut -E oder über eine
anglofriesische Form
schließlich zu EI führte. Was uns angehen muß, das ist, daß es bei uns nun in
der Einzahl und in der Mehrzahl 'seig(en)' heißt, während es im östlichen
Mecklenburg noch heißt: ik sach, wi seegen. In Lauenburg sind also EIN- UND
MEHRZAHLFORMEN DER VERGANGENHEIT IM VOKAL DER STAMMSILBEN AUSGEGLICHEN (II). Den
Unterschied zeigt das mecklenburgische Rätsel vom Licht:
De lütt Jehann Täulken satt up sin Stäulken;
wo länger heit satt, wo körter hei wörd.
Bums! lagg hei hen. |
Die Zwielautung hat nicht nur die langen E, sondern auch die langen
O ergriffen.
Es heißt in unserer Erzählung 'Ogen', 'Abendrot' und 'Strohdack', aber nicht
'to' und 'god', sondern 'tau' und 'gaud'. Wie kommt es zu diesem Unterschied?
Rot hieß einmal früher got. RAUTHS. Dieses AU ward as. zu O; es hieß nun RÔD.
Und dieses 'rot' blieb bis in unsere Zeit bestehen. Der Vorgang betrifft alle
Wörter, die einmal aus einem AU ein as. O zusammenzogen. Sie bewahren dies O.
Sagten die Langobarden, die hier einmal wohnten, 'LAUNICHILT' für 'Lohn,
Entgelt', so wurde daraus mnd. LÔN und heißt heute noch 'Lohn'. Hieß das
Giebelloch über der Tür der einfachen Hütte, das als Fenster diente, bei den
Goten AUGO-DAURO, 'Augentür', so sagte man as. dafür ÔGA, und in unserer Mundart
kann es denn auch nur 'Ogen' heißen. 13)
Anders mit dem Worte 'gut'. Unsere alten Germanen kannten sehr wohl, was gut
(got. GOTHS) war, im Gegensatz zu übel (UBILS). Dieses GOTHS hieß ags. und as.
GÔD, mnd. GÔT, und gerade dieses uralte O wird nun bei uns zu AU in 'gaud'.
Man denkt dabei an ein anderes as. Wort GOD (kurzes O), got. GUTH, das ein
gemeingermanisches Wort für 'Gott' ist, für die unpersönliche Naturmacht, die "anzurufen" ist; so sagt es der Sinn des Wortes. An die höchste Gottheit Wodan
erinnert bei uns die Rede 'dei Wau geht üm'. Der 'Wau' lebt noch, und fest
haftende Bräuche führen sich auf diesen Glauben zurück. Vergebens nennen "kluge"
_______________
13 'Sett dat Windo·g vör!, sagte ein † Landmann im südlichen Lauenburg noch,
wenn er die Fensterläden meinte. Vermutlich war das ein Ausdruck, der aus der "grotbetanschen", der englisch-hannoverschen Zeit hängen geblieben war.
ABKÜRZUNGEN:
L = Sprache des flachen Landes. St = Stadtsprache. Mnd. = mittelniederdeutsch,
as. = altsächsisch, ags. angelsächsisch, got. = gotisch, fr. =
friesisch, germ. =
germanisch. Ein Punkt hinter einem Laut bedeutet die Längung des Lautes: We·lt =
Weelt u. ä. > bedeutet: wird zu, < kommt her von dem folgenden Wort.
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Leute das Hauksbaukserie d. h. Hokuspokus. Das Wort 'wau'
steckt auch in 'Wauspill'. Es hängt zusammen mit mnd. WÔDEN, ags. WOD (=
toll), got. WÔDS wütend, besessen. 'Wau' heißt eigentlich übermütig sein. Man
muß sich nun den Sinn des 'Wauspills' danach deuten. 14)
Die Wörter mit altem O gehen also bei uns in die Zweiung AU über. Wiederum
betrifft der Vorgang die ganze Gruppe mit diesem alten O. Noch einige Beispiele.
Als alte Speise diente Brei (Mus) und Brot. Das Wort für Brei ist ags. MÔS as.
MOS und lautet heute 'Maus'. 15) Das alte Wort für Brot ist Laib (der Lebkuchen
erinnert noch daran), ein süßer Fladen. Als man mit dem Sauerteig, den man beim
Brauen gewann, gesäuertes Brot Herstellen lernte, nannte man es (vom Brauen)
BRAUD, das dann as. BRÔD, mnd. BRÔT, und auch heute noch BRÔD heißt. Man
konnte nicht bloß backen, sondern auch am Spieß braten und im Kessel sieden. Von
dem alten SJODA, ags. SÊODAN stammt unser 'Sood' (Ziehbrunnen), der also
eigentlich siedendes, lebendiges Wasser bedeutet, obgleich die Quelle (Welle,
lebendiges Wasser) bei uns 'Born' heißt. 16)
Wir haben damit ein zweites Merkmal unserer Mundart erörtert:
ALLE ALTEN LÄNGEN E UND O SIND DURCH ZWEIUNG ZU EI UND AU GEWANDELT (III).
Wir fügen vorläufig hinzu: mit Ausnahme der Stellung vor R. 17) Die volle
Erfassung dieser Längen verleiht unserer Mundart den Charakter einer
diphthongischen.
Bevor wir unsere kleine Schreiberin verlassen, werfen wir noch einen Blick auf
ein paar ältere Wörter. 'Teensen' aus 'teenseen' von mnd. TO ENDES ENDE; die
Endwand des Hauses ist gemeint. 'Steeners' sind die großen Ständer, Pfosten, die
das Haus tragen. Über die Sprechweise hören wir weiter unten. Die 'Steener'
werden auch oft 'Höffsteener' genannt, Hauptständer, welcher Ausdruck engste
Beziehung zu reinem Sachsentum darstellt. Anders ist es mit dem Worte 'Ösel'
(ags. EFESE, mnd. OVESE) die Dachtraufe, der überstehende Dachrand, Halle unter
dem Überbau, anderswo Öwes, Ös genannt. Wenn die Form Ösel zur Verdeutlichung (<
Ösfall) gebildet wurde, so würde die Notwendigkeit dazu auf das Mischgebiet
(wendisch-sächsisch) hinweisen. 18) Der innere Hohlraum des Daches im Winkel
zwischen Dach und Boden heißt bei uns 'Auken': hei hett wat achtern Auken = 'er
hat Vermögen'. Es ist wieder ein Wort mit altem O < ags. OXN Achselhöhle.
*
14) Das Spiel wurde von allen Kindern den ganzen Nachmittag durch
alle Läufer hindurch in aller Freiheit gespielt (in Lütau).
15) 'Mausgetüffel und Boddermelk' ist heute noch ein schönes Lauenburgisches
Gericht, ein 'Harden-Äten".
16) Der 'Born' bei Kröppelshagen z. B. entsteigt einem so tiefen Grundwasserstock,
daß er bei immer gleicher Temperatur und immer gleich hohem Wasserspiegel die
Wasserleitung des ganzen Dorfes hinabfließend unterhält. Er liegt auf dem
Bornberg.
17) Über die genaueren Verhältnisse vgl. man die Übersicht am Schluß des
II.
Teils.
18) Es bleibt zu unterscheiden 'Ösel' Lichtschnuppe, glimmender Docht (mnd.
OSELE' ags. YSLE = Asche). Öselnapp = Lämpchen.
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Nr. 2. Mid Pier un Wagn na
Wauts. 19)
Sünndag wulln wü mit Pier un Wagn na Wauts. Alltehobm wulln nie
Kleere 20) hebm. Wien Braure sull uns hennfeuin. Dat weue n schöne
Tue 21). Hans weue gnadderig, dat hei lobm sull. Hei lä de Urn
22)
un Kopp. Fritz wull öwe tau gien 23) lobm. Manchmal sleug hei
orndlich achderut. Wenn dat ümm Buch güng, suus dat orndlich.
Öwe se gün ock Schritt. In Kangelo 24) neum wü uns Tande noch mit.
Achde Kangelo müssn de Pier gaud tregn. Hie weue alls Sand. Wü
keum og an Hierschpark febie. Öwe Hans 25), dei tarne Hiersch,
weue nich te sein. Bald weuen wü in Wauts. Dua hö wü dat
Herrnhuus sein. Mien Tande het uns dat all ekliert 26). Nu güng
wü na de Sniederin. Si han 27) ok Radio. Da wü
28) grad dat Märchn
Rübezahl spält. Wü weuen bald treg 29). Nu güng v dat op den
sülwign Weg na Hus. As wü nan Hierschpark keum, weue Hans
dua. En anne Hiersch stünn ok dua bie. Hei har noch n bätn Angs.
Kangeloge Lüh 30) fürrin 31) di bedn Hiersche. Bald weuen wü in
Kangelo. Dua wür mien Tande aflad. Wü feuin öwe fegneugd na Hus.
Hie drüngn wü eismal orndlich Kaffee.
(Aus Talkau.)
*
Trotz aller Kleidersorgen - es war schön; denn es
gab zu schauen. 'Dat weue n schöne Tue'. 'Weue' ist gerundet aus
'Weier', mnd. WÊRE und erinnert uns daran, daß die langen E
auch vor R zu EI gewandelt wurden. Alle E wurden so
aufgespalten, auch die aus altem IO vor R (FIOR > VÊR >
VEIER),
sogar die kurzen E vor R in bestimmter Stellung
(mnd. pert > peiert, Pferd). Man hört heute überall noch
'eismal' (zuerst), 'veier' (vier), 'Deiert' (Tier), seltener
schon 'Beier' (Bier), 'up dei Eier' (Erde), wohl niemals mehr
'Peiert' (Pferd). 'Venach ward freiern' (frieren). Früher hatte
man noch das alte VRÊSEN, 'freisen' (vgl. hei früst). Wenn jemand
in Winterskälte mit dem gefrorenen Fraten im Bart hereinkam,
sagte man wohl: 'Peiter Freis' kümmt. 32)
Diese ganze Entwicklung ist nachzuweisen (s. u. Abschn. III),
ist aber nur noch in Rückständen, wie angedeutet, lebendig;
diese Reste leben zwar sehr zähe, doch in größtem Umfange setzt
sich seit Jahrzehnten eine andere Entwicklung durch. Sie lebt
ganz deutlich in unserer Vorlage: Pierd (Pferd), giern (gern)
[für kurze E], erkliert (erklärt, nur hochd., lateinisch
abgeleitet, als tonlanges E gefaßt). Für das lange E ist in
unserer Vorlage kein Beispiel. Aber man sagt jetzt 'Lierer'
(Lehrer) und 'wenier' ('wann' statt älterem 'wunneier'). 33)
_______________
19)
Wauts, auch Woots - Wotersen. - 20) Kleider. -
21) Tue = Tour = Weg,
Reise. - 22) Ohren. - 23) gien = girn = gern. -
24) Kankelau. - 25) Hans ist der
zahme Hirsch im Hirschpark. - 26) erklärt. -
27) Sie hatten. - 28) wa = wür =
wurde. - 29) zurecht. - 30) Kangeloge Lüh = Kankelauer Leute. -
31)
fütterten. 32) Formen m. gramm. Wechsel von frieren und
verlieren sind nicht mehr zu bemerken. Fraten = Atem (mnd.
VRATEM). 33) Die Entwicklung geht von der Sprechweise
'Pärd' aus. Das R ist gemurmelt. Es entsteht eine Art Hochdiphthong
E·A, der zu A abfällt.
Es hebt sich der
zweite Bestandteil, dann wieder der erste, bis zuletzt ein
überlanges, geschleiftes I
bleibt. Diese Entwicklung ist zu beobachten: Pe·ad, Pe·ed, Pi·ed,
Pi·it, Pi··t.
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Man kennzeichnet den Vorgang, indem man sagt, das E sei zu I
gehoben. 34) Diese Tonerhöhung ist von Mecklenburg ausgegangen und
erobert sich langsam von den Städten aus das Land (das Geschichtliche vgl. man
unter Abschn. III). Die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen.
Die Tonerhöhung erstreckt sich nun auch auf die O-Laute. Zunächst wurden aber
die langen O ebenfalls gezweit zu AU. Man sagte 'Maur' für Moor, mnd. MÔR (O
1) und 'Aurn' für Ohren (got. AUSO, as. ÔRA, O 2). Der
Vorgang erfaßte auch die Umlaute; so hieß es feurn (as. FORIAN, mnd. VÖREN,
fahren). 35) Selbst die kurzen O wurden in die Entwicklung
hineingezogen. Den Dorfnamen 'Worth' sprach man 'Waurt' aus und bildete das
Neckwort: Waurt - is'n schön' Aurt (as. ORD, mnd. ORT). Was auf dem Felde
wächst, nannte man 'Kaurn und Knullen' (got. KAURN, as. mnd. KORN). Knollen sind
Rüben und Kartoffeln.
Aber dieser Doppellaut wird durch die Tonerhöhung verdrängt. Unser Text gibt uns
das Wort 'Urn' (für Ohren): das O ist also zu U erhöht. Wie wenig die
Entwicklung abgeschlossen ist, sieht man an dem Worte 'feurn', das in der
Vorlage nicht und auch sonst noch nicht 'fü·rn' heißt. Die Tonerhöhung O > U hat
aber längst auch die kurzen O ergriffen ('Ku·rn' für Korn, 'Hu·rn' für Horn).
Was noch merkwürdiger ist, selbst die verschiedenen A-Laute, die sich in
bestimmter Stellung vor R in das dunkle A oder OA gewandelt haben, werden in die
Wandlungen hineingezogen: 'Jua' für Jahr, as. mnd. JÂR; 'dua' für DA, as. THÂR,
mnd. DÂR(e); 'Guan' für Garten (as. GARDO); 'Uat' für Art (mnd. ART.) Aber wenn
mau die Kinder zum Artigsein mahnt, sagt man hierzulande: "Wäs geschickt! Tiert
jü ok!"
Das Ergebnis unserer Erörterung können wir zusammenfassen:
DIE LAUTE E UND O WURDEN IN DER STELLUNG VOR R ZUM ZWIELAUT GEWANDELT (IV).
Diese Zweiung berührte die Stadt nicht.
DIE LAUTE E UND O WERDEN ABER HEUTE VOR R ZU I UND U GEHOBEN (V).
Diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen.
DIE TONERHÖHUNG ERFASZT AUCH DAS DUNKLE A, OA UND ERZEUGT EINEN UNECHTEN
ZWIELAUT (VI).
_______________
34)
i (ü) |
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û |
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i |
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u |
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e (o) |
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ô |
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e |
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o |
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ä (oe) |
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â |
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a |
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|
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In diesem Dreieck liegt A am tiefsten, entsprechend der
Zungenlage; I und Ü liegen am höchsten, wiederum der Zungenlage entsprechend.
Die Laute heben sich im vordern Mundraum von A bis I, im hintern Mundraum von A
bis U. Die Hebung bedeutet gleichzeitig Engung des Mundraums. Senkung bedeutet
Öffnung und Weitung. Die entsprechenden Rundungen sind in Klammern gesetzt. Ü :
I und Ö : E stehen einander in Rundung und Entrundung gegenüber. In der
zweitletzten Reihe bedeuten A(OE) und  Laute wie in 'gäben' (geben), Koek
(Küche), 'Warer' (Wasser), 'Da·g' (Tage).
35) Das lauenburgische EU ist ein Laut, der sich von der
Ausgangsstellung EI zu EU hinaufrundet: EI EU. Im Nordosten hört man 'hei weier
krang', in der Mitte 'hei weieur krang', im Süden 'hei weur krang'. Im Westen
zeigt sich auch (von offenem Ö ausgehend) 'hei wöü krang".
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Als Ganzes ist die Wirkung der Tonerhöhung
bedeutsam. Gab die Zweiung in ihrer letzten Auswirkung der
Sprache etwas Breites, so leistet die Tonhebung, die zugleich
Engung ist, der Sprache den entgegengesetzten Dienst; denn die
Entwicklung geht dabei zum geschlossenen I und U. 36)
Es bleibt zu beachten, daß es sich dabei in der L nicht um eine
organische Entwicklung der Laute handelt, sondern um
Verdrängung. Die Entwicklung O > AU kann nicht rückwärts
geleitet werden zu U, sondern Wort für Wort der zugehörigen
Gruppe wird verdrängt. Man muß aber doch von der Stadt her von
einer organischen Entwicklung reden; sie war bei den einfachen
Längen E und O vor R stehen geblieben, und sie ist zuerst mit
der Hebung vorangegangen. 37)
*
Nr. 3. Wie dat Brotbagn handhaft
ward
All drei Wäckn ward bi uns Grovbrot backt. Ik
wiul feteuln 38) as min Murre back hett. Un ik müß
ok mit heubn 39). Nu geht dat Bagn los. Taueis mak
min Murre sik Ware warm. Denn wart de Baggetroch utwoschn. Wenn
se em utwoschn hett, bindt se sik de wit Schöt fö. Un nu wart
anfüet. Taueis kümt dua Mäuh 40) rin. Denn ward
dua Ware, Essich, Sould und Suedeich tüssn gadn. Denn geht dat
Süen los. Nu knät se so lan, bät dat all tausam is. Wenn se
farich is, hett se äwes ein rodn Kop dua bi krägn. An se is ok
äwes inne Hit. Nu is de Deich farich. Denn hault se sik ein
Lagn, dat ward dua räwe deckt. Dat dat nich so kould ward. Nu
lich dat bät annen Morgn. Ams 41) lech min Varre
noch Hould in Am 42). Wenn dat farich is, wat eis
ma wat ädn. Wenn wü wat ädn höp, gad wü tau Bet. Annen Morgn
geht werre von frischn los. Denn stickt min Varre dat Hould all
tidn an. Dat Hould müt twei Stun brenn. Nu drinkt min Murre eis
Kaffee un denn geht Knän werre los. Eis ward dat Brot knät un
denn daul knät un tauletz ward dat Brot ubnahm. Nu wart eis ubn
Disch Mäuh ströt un dua wart dat Brot rublech. Wü backt mesn
föftehn Grovbröh. Nu kümt min Varre rin un wiul ok eis mal
Kaffee dringn. Nu ward
_______________
36) In der uns vorliegenden Erzählung macht sich
die Wirkung der Hebung auch in den Rückstandsvokalen der
Endsilben deutlich: Tue, Kleere, fürrin u. ä., die alle wie
kurzes I klingen. Dasselbe in den Vorsilben: alltehobm,
fegneugd. In den Vorsilben ist überhaupt das gemurmelte I in
Lauenburg der häufigste Vokal: Mesik, Melü·r (Unglück), kemau·
(bequem, kommode) u. ä. immer.
37) Wie sehr die Tonerhöhung als Gegensatz
empfunden wurde, zeigt die folgende Scherzfrage, die in
Südlauenburg umlief. Sie zeigt zugleich die Kraft eines solchen
Lautwandels, der sich einfach durchsetzt, und zwar unter den
Jungen.
Wie sprechen denn die
Mecklenburger?
Bi bei vier Pier sitt dei Stiert ganz verkiert,
un dat fiefde Pierd, dat Diert,
hett sik mit denn Stiert dei Fliegen affwiert. |
38) erzählen. - 39) helfen. -
40) Mehl. - 41) abends. - 42) Ofen. -
43) Kohlen. 44) holen. - 45) manchmal. -
46) Backofen.
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de Kauln 43) rutkrägn. Wenn min Murre denn
farich is, sech se min Varre Bescheit. Nu mat wü flink Ware tau de Kauln haun
44). Wenn wü denn sachn gaht; schimt Varre memuul 45).
Äwe nahia hett hei werren gaudn un lach sik ok werre. Nu kümt dat Brot ub de
Schufkua hen fäuet. Denn wart dat afladt un kümt nan Bagam 46)
rin. Nu müt dat dua drei Stun in stan und bagn. Dua müch ik äwe nich in wäsn,
denn bleif ik vö ganz bestimt dod. Went nu öhlich brun is, wart rutkrägn. Nu
blief dat eis bät Ams bun umbn Disch. Ams kümt dat Brot denn nan Kelle rin. Un
annen Morgn wart dat Brot denn ädn. Denn schmeckt dat äwe schön. Memul is dat
Brot ok afbackt. Äwe uns schmeckt dat Brot ümme. Nu is dat Brotbagn tau En. Ik
weit ok nich mia.
(Aus Borstorf.)
*
Der Vater schimpft wohl; aber er hat nachher wieder einen 'guten'
un 'hei lach sik werre'. Dieser Gebrauch von 'lachen' ist echt lauenburgisch für
'er lacht sich eins'. 'Ik lach mi' = ich freue mich. 'Warte auf mich!' heißt
meistens: "Töw mi!"
Der kleine Schreiber drückt deutlich die Verhältnisse beim I aus: 'Mäuh' = Mä-ul
= Mehl. Die Schreibweise will sagen, I ist ausgefallen, nur ein U von
ordentlicher Länge ist geblieben. 47) 'Ik wiul feteuln' heißt: 'Ik
will vetelln'. Damit stoßen wir auf etwas Wichtiges. In der geschlossenen Silbe
,-telln' wird das E gelängt und geschlossen gesprochen. Es müßte also
geschrieben werden 'veteeuln'. Wir benutzen den Punkt zur Andeutung der Länge
und schreiben 'vete·ln'. Diese Erscheinung entspricht unserm Satze I:
In geschlossener Silbe wird möglichst geschlossener Vokal gesprochen. 'Tau En'
ist also zu lesen 'tau E·n'. Oben hatten wir 'Steener' für Ständer. 'Ste·ner und
We·n' (Ständer und Wände). 'Teensen' > TO ENDES ENDE. 'Wo sick ein Fiedel rögt,
dua sü·n dei Be·nguls, dua is dei Wel·t'. Der Satz mag uns sagen, daß diese
Wandlung des E nur stattgefunden hat vor N und L (ohne und mit folgenden
Konsonanten). In der Erzählung lesen wir noch 'Sould', 'kould', die 'So·uld' und
'ko·uld' zu sprechen sind, ebenso 'öhlich' = ö·lich < öllig < örndlich,
ordentlich.
Der Vorgang der Längung und Schließung der Vokale in geschlossener Silbe wird
Palatalisierung genannt. Er erfaßt die E. O, I, U und die Umlaute Ö und Ü. Was
geschieht mit dem A? Dieses erscheint nur gelängt, sonst unverändert, also
'Tante' lautet 'Ta·nde', 'Sa·nd', 'Ha·ns', 'Ha·ls' u. a. Einige Beispiele:
Dat Wä·re e·nert sik. Sei seit ub dei Be·nk un dreug Stämm. Sie tanzte nicht.
Be·nk = Bank, Einzahl! (as. gen. BENKI). Hei is bege·ng in Kangelo (lebt dort).
Ik mütt eis in'n Kle·ner nasein (im
________________
47) Beim L weicht die Zunge soweit zurück, als der Vokal verlangt,
wobei die Vorderzunge mit dem Rücken am vordern Gaumen einen lockern Verschluß
bildet, so daß der Laut vokalhaltig ist. Schließlich kann das L schwinden, der
dunkle Vokal bleibt. 'A·min Ge·ld' = all mein Geld. 'Ka·uln ha·un' = Kohlen
holen. 'Dat is heio wa·m' = ganz warm.
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Kalender). Hei is in Di·ng'n (zu Hause). Dat mütt
fli·nk gan. 48) Ei·n, twei, drei, twi·nig, hu·nit
(1-100). Lü·t bäd Gas un denn mit hu·nid dei
Herrenstrat rub (So sagt der Schofför = Autofahrer). In'n Ho·ln
= in'n Bu·ß = im Gehölz. Wo·l, Wo·ld ist der wilde Wald:
Sassenwo·ld; dei Dörchwo·ldsen (jenseits des Sachsenwaldes).
Altgerm.
WALTHU verwandt mit WELTHIA wild. Das andere germ. Wort für Wald
ist HAITHIO - Heide; bei uns, Hahnhee = Hahnheide, der schönste
Wald unserer Halbinsel.
Unsere Erörterungen können wir abschließen: IN GESCHLOSSENEN
SILBEN WERDEN DIE VOKALE VOR N UND L (MIT UND OHNE KONSONANT)
GELÄNGT UND GEHOBEN (VI). Dieser Tatbestand
scheidet am schärfsten die Sprache des flachen Landes von der
Stadtsprache.
Eine Stufe der Entwicklung bildeten vermutlich sog. mouillierte
N und I, die nirgends mehr zu hören und nur noch in der
Überlieferung oder anekdotenhaft bezeugt sind. 'Hei stünn' = er
stand. Das Ü wurde zu einem kurzen, aber geschlossenen Ü mit
nachfolgendem I- haltigen N geformt: stü·jn oder stü·njn, z. B.
"Dua stüjn Kierl vör, dat weier dei Stutendräger Lüjt, dei
verköfft sin Möllsken Tweiback, baben schön brun, inwejnig n'
bäjten gäl vonne Borrer!"
Unter die Palatalisierungen muß man auch rechnen: li·gn
(liegen), le·gn (legen), se·gn (sagen), wi he·bt (haben), Ro·gn,
Ro·g (Roggen), Po·gn, Po·g (Frösche) 49)
Eine andere wichtige Beobachtung drängt sich noch auf. Die
lauenburgische Sprechhaltung ist so, daß die Sprechorgane mit
wenig Spannung arbeiten. Insbesondere sind die Verschlüsse lose.
DIE HARTEN VERSCHLUSZLAUTE GEHEN LEICHT IN DIE STIMMLOSEN,
WEICHEN ENTSPRECHEND ÜBER UND VERSCHWINDEN SCHLIESZLICH (VII).
'Lagen' für 'Laken', 'ädn' für 'äten' deuten dies an, ebenso
'dring' für 'trinken', welches Wort ohne einen Verschluß
gesprochen wird. Den Schwund deuten hier 'bun' für 'budn' und
'teen' für 'teedn' an. Die Artikulation der Verschlußlaute ist
also durch die Lenierung immer gefährdet. Das Redetempo ist dem
Sachverhalt angemessen langsam, die Wortpausen sind kleiner.
*
Nr. 4. Wat Urgroßmurrü Ram mi
vertellt hat.
Ik heit Meria Ram un bün geborene Siemes. Gebuan bün ik in
Lün Schreistanbo 50) an vöfn Janewug
achtenhunetundsösunveitich. Ik ha drei Zwestin un ein Braure,
und ik weuü dei Öls. Ik muß ümmü
_______________
48) Ein besonderes Wort für 'schnell' gibt es
nicht. Holsteinisch 'GAU' (jach) ist nicht bekannt. Es heißt 'ga
fli·nk tau' oder 'mak n bäd Dä·gdn tau' u. ä. Ein besonderes
Wort für 'jenseits' gibt es nicht: 'günt' ist nicht bekannt. Die
Hannoveraner sagen von uns: 'de Güntsiet"; wir sagen von ihnen:
'dei Öwerelwschen': ein bedeutsamer und scharfer Unterschied.
49) Wir haben keine Mittel, drucktechnisch das
nasale Kehl·n anzudeuten. Wir müßten eigentlich schreiben:
Ro·gng usw. Ähnlich helfen sich die Kinder, sie schreiben: 'Ik
bün nich bangn', womit sie sagen wollen, daß kein abschließendes
G zu hören ist.
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up ia passn. Mien Varre weuü Anbue in Lün
Schreistan un ha ben 51) Land dua bi. Pia ha hei
öwes nich; hei pleuch sien Kobuln mit uns Keu üm, und dei müß ik
an Kop fan 52), und min Varre sä denn jümmes
'Nadie' und 'Huddie' 53). As ik sös Jua weuü, müß
ik in Gron Schreistan na Schaul. Wü müssen den ganzen Dach na
Schaul von Morns Klock acht bet Nammödas Klock veier tau. Wü
Kiener ud Lün Schreistan kunn in dei Mirrastied nich na Hus gan.
Uns Liere heit Hilme, hei weuü ganz schab. Ik hef fix lian kunt
un dat Einmalein dat weit ik nu noch un 54) Kop.
As ik ten Jua weuö keum ik na den Föste in Gron Schreistan. Dei
heit Fickbom. Dua müß ik Kiene wuan und ok mit arbeen. As ik
twölf Jua olt weuü müß ik ok mit dei Kuffümandn 55)
na Breinfeuln 56) tau Kuffümannstunn. Wü müssen
blos tauhüan, fran 57) de hei uns öbüs niks. Dat
anne Jua durub müssen wü na dei richtige Kuffemannstunn hen. Un
de Pestua deit heit Kassen. Dat weuö obüs gaßen, gaßen scham
58) Preistü 59). Wenn wü dat nich wen
60) den, wat hei uns fran de, mit eimal
krein wün Bags. As ik ut dei Schaul weuü keum ik na den Hamfelü
Möllü 61). Dei heit Bädjö. Ein Deinstdiean weuü
dua noch, dei heit Möria. Und dua weuü eimal Dansmesik. Dua gün
wü ben ok hen und bün 62) uns wiet Schörn 63)
fö. Und as wü dun upn Saal rup kam den, dun segn al dei Lüh: "O,
kiek mal dei Möllödieans höb wiet Schorn fö!" Und so schnan
64) sei jümmes tau. Dua keum Möria na mi hen un sä:
"Kum, wü gat fling na Hus un bind uns annen Schörn fö." Dua ha
dat Znan En 65). Dua bün ik twei Jua wes. Dei
Platz weuü mi tau zwuar. Dua keum ik nan Buün hen na Talko. Dua
müssen dei Dians dat Kuan noch sichen un ut dei Drangtun
66) müssen wü uns waschen. Dua müch ik gunich wäsen. Ein
Jua bün ik dua man wes. Dun keum ik na Mölra hen nan Föstü. Dei
heit Wiegens. Dua müch ik gian wäsen. Dua bün ik veie Jua wes.
Dei Han ümü veie Kosgeengerins. Dei ein weue ud Ratsborch, dei
kun da Enkaken 67) gonich bügriem. Denn reub sei
jümmes: "Marie, Marie, kommen Sie mal schnell her, ich glaube,
das Essen ist schon wieder angebrannt." Denn müß ik jü eis werre
hen nan Hiad; ik ha ok ümü so fel tau daun. Föstö sien
geim grod Güsellschaf. Denn müß ik Edn kan und süwiern. Denn oln
Pastü Gottschaf ud Bastos 68) denn müß ik ok ümmü
inlan 69). O, in Möllra 70) h
heck manchen Spaß halt. Dua müch ik tau gian wäsn. Ams 71)
müß ik bed Klock ten Flas un Hei spinn un Fru Föstü ok mit. Lohn
kreich ik 29 Dalö, schön Wienachn ok. Wenn grot
Güsellschaf weuü, kreich ik ok Dringeld. Ik ha ein Ungul und
Tandü in Hamboch wan. Und dei weuün bie mien Varrü tau Büseuk.
Und wat keum hiü na? Dei sän, ik kan in Hamboch väl grödü Lohn
vüdein. Und dünn sä dei Ungul: "Ik weit'n schön Platz fö die,
dat is ne Witwe, dei heit Hansen." Dei weuü eis von
_______________
50) Kl.-Schretstaken. - 51) ein
bißchen. - 52) fassen. - 53) Zuruf:
links, rechts. 54) aus dem Kopf. - 55)
Konfirmanden. - 56) Breitenfelde. - 57)
fragen. - 58) 59) scharfer Priester.
- 60) wissen. - 61) Hamfelder
Müller. - 62) banden. - 63) weiße
Schürzen. 64) schnackten, sprachen. - 65)
Een = Ende. - 66) Dranktonne. - 67)
Essenkochen. - 68) Basthorst. - 69)
Einladen. - 70) Mühlenrade. - 71)
abends.
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Amerika röbü kam. Dei wuln mie dun 70
Dalü gäm. Dat weur dunmals väl Geold. Dat leif mi tau. Un ik gün
hen. Dei Müdam ha in 1/4 Jua 5 Dians
hat, weil sei spanisch znan de, kun sei sik nich vüstan. Ik kak
dat Edn gra so, as ik dat in Mölra kak har, und dat müchn sei so
gian. Dua müch ik gian wäsen und bün ok lan, lan dua wes. As ik
29 Jua olt weuü, hef ik mi vüheirat. Min Mann weuü
Forstupseiner bien Herrn Büron von Brüsel in Bastos und bien
Först von Bismarck in Friedrichsruh. Min Mann und ik höb
glücklich tehop läf 29 Jua lang. Ik ga nu in min
88. Lämsjua und hef noch gokein gries Hua. Bün jüs
noch gaut tau Wäg, blos ik kan nich mia arbeen. Mien eizigst
Söhn is all dot. Har hei noch teen Jua läft, weuö dei Ram Nam
100 Jua up Gaut Bastos west.
(Aus Basthorst.)
*
Der vorliegende Bericht zeigt die Tonerhöhung in voller
Auswirkung. Alle E, O, dumpfen A vor R sind zu I, U, UA geworden. Des weiteren
sind wir im Gebiet der Rundung: 'wü hö·bt' statt 'wi he·bt', ebenso 'jüch' statt
'juch'. Weiter hat die Rundung die Rückstandslaute in Vor- und Nachsilben aus I
zu Ü geformt: 'Güsellschaff', 'bügriem' und 'hiü' statt 'hie' oder 'hia'. Die
sehr bezeichnende Längung der Vokale in Kurzsilben bei gleichzeitiger Schließung
wird ebenfalls vollständig abhörbar. Sehr deutlich wird das Endergebnis der oben
besprochenen Lenierung deutbar. Die Verschlußlaute sind in der Stellung vor N
(M) nach ihrem Übergang in stimmlose B, D, G gänzlich geschwunden (anfadn >
anfa·n. anfassen; scharpen > scharben, scha·m). Bemerkenswert ist die Aussprache
'Zwester' für Schwester und 'zwuar' für schwer (mit doppellippigem W, das man
sonst noch in twi ·ig, twi·ndig für zwanzig hört). Noch auffallender, aber echt
ist 'Zna·n' für 'Schnacken, Reden'.
Alles in allem ein glücklicher Fund, dieser Bericht der Alten, die nun schon
verstorben ist. Ein wehmütiger Rückblick in arbeitsreiche, aber glückliche Tage
der Jugend. "O Mühlenrade' und neunzehn Jahre!"
(Fortsetzung folgt.)
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